Der Neid eines Fremden
besondere Fähigkeiten gegen die stärkste Konkurrenz behaupten zu wollen und zu glauben, man werde von den anderen Menschen nur akzeptiert, wenn man ständig eine gute Laune an den Tag legte, und sei sie noch so gekünstelt. Und dann zwei Frauen über sich lachen zu hören, die bereits alles erreicht hatten, nach dem man strebte, und es sich leisten konnten, unfreundlich zu sein, ohne den kürzeren zu ziehen?
Das Schweigen zog sich in die Länge. Rosa fühlte sich von ihren Gedanken in die Enge getrieben. Was konnte sie schon machen? Entschuldigte sie sich, würde sie der verletzten Sonia nur eine Beleidigung mehr zufügen. Ein besonders nettes und zuvorkommendes Verhalten würde (zu Recht) als ein unaufrichtiges Eingeständnis von Schuld aufgefaßt werden. Sie konnte nichts daran ändern, daß sie sich mies fühlte. Aber sie fragte sich, ob sie irgend etwas sagen oder tun könnte, das Sonia helfen würde, sich besser zu fühlen. Sie schloß den Aktenordner, legte den Kopf in die Hände und dachte nach.
Es war nicht schwer, sich etwas einfallen zu lassen, mit dem man ihr einen Gefallen tun konnte. Seit Rosa sie kannte, hatte Sonia immer wieder mehr oder weniger direkt auf ihre ungenutzten Talente hingewiesen. Sie sparte nie mit Hinweisen auf das, was sie tun könnte, wenn man sie nur ließe. Die meisten ihrer Vorstellungen gingen weit über ihre Fähigkeiten hinaus, doch bei der Saturday Show war das nicht der Fall. Diese Sendung wurde am ersten und dritten Samstag des Monats ausgestrahlt und bestand im wesentlichen aus Musik, Interviews und Gesprächen mit einem jungen Studiopublikum. Obwohl sich das Sendepersonal größtenteils aus Technikern und Moderatoren zusammensetzte, wurden zusätzlich immer ein paar Mädchen gebraucht, die die Gäste begrüßten, gute Laune verbreiteten, Kaffee machten und Drinks servierten. Diese Mädchen, die man auch als Studiohäschen bezeichnete, rekrutierten sich aus den Sekretärinnen und Vorzimmerdamen des- Senders. Sie erhielten keine Bezahlung, denn man ging davon aus, daß die Möglichkeit, eine Stunde oder länger die gleiche Luft wie ein Popstar einatmen zu dürfen, als Belohnung völlig ausreichte. Die Konkurrenz war groß. Sonia hatte sich verschiedentlich beworben, war aber nie ausgewählt worden. Rosa beschloß, sich an Toby Winthrop zu wenden.
Vor einigen Jahren hatte Tobys Frau Jill nach der Geburt ihres zweiten Kindes plötzlich starke Depressionen bekommen. In diesen sechs Monaten hatte Rosa sehr viel Zeit mit ihr verbracht. Sie waren gute Freundinnen geworden. Toby war ein schroffer, nicht sehr gesprächiger Mann, doch Rosa wußte, wie dankbar er ihr war. Wie die Dinge standen, hatte sie bei ihm etwas gut; jetzt war die Zeit, es einzulösen.
Sie verließ ihr Büro und eilte zur Redaktion. Toby, der zwischen den Vorstellungsgesprächen gerade eine Pause einlegte, stand mitten im Durcheinander der Redaktion zwischen klappernden Fernschreibern, unbenutzten Schreibmaschinen, fleckigen Plastikbechern, überquellenden Aschenbechern und einigen Pflanzen, die in der verrauchten Luft zu ersticken drohten. Sie brachte ihr Anliegen vor.
»Das ist nicht der Moment, mich mit deinen makabren Witzen zu belästigen, Rosa. Ich bin schon den ganzen Morgen mit Schleimscheißern konfrontiert. Das reicht, um einem Mann den Wind aus den Segeln zu nehmen.«
»Bitte, Toby. Ich mein' es ernst. Warum kann sie nicht mitmachen? Es geht doch nur um die nächsten zwei Sendungen.«
Sie beobachtete Tobys Nase, die Louise einmal, weil sie ständig in Bewegung war, mit einem Wackelpudding mit Himbeergeschmack verglichen hatte. Kaum röter als der Rest seines Gesichts, schien sie dennoch ein Eigenleben zu führen. Erfahrene Mitarbeiter erachteten Tobys Nase als ein Barometer, an dem die Stärke des bevorstehenden Wutanfalls abzulesen war. Der Rest seines Körpers wirkte wie ein durchwühltes, nicht gemachtes Doppelbett.
»Wie würde dir das gefallen, he? Als empfindsamer junger Mann im zartesten Alter biste nach 'ner durchsoffenen Nacht, in der de dich an deiner Gitarre verausgabt hast - von den diversen Mädels ganz zu schweigen -, gerade erst aufgewacht, kannst kaum aus den Augen gucken, und schon biste mit diesem Ausbund an Tugend, mit diesem moralinsauren Kühlschranklächeln konfrontiert. Das zieht dir doch in Nullkommanix den Schmelz von den Zähnen.«
Rosa schwieg. Es wäre taktlos, ihn jetzt darauf hinzuweisen, daß er als Sendeleiter Sonias Lächeln
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