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Der neue Herrscher

Der neue Herrscher

Titel: Der neue Herrscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Kneifel
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lag, viel näher an der angeblich steinigen und schroff-felsigen Küste des Wahnhall-Nordens als an der westlichen der kleinen Inseln.
    »Ich ahne«, fuhr er fort, während die weisen Männer ihre Pergamente ausrollten und die Ecken der Blätter mit Bechern, zierlichen Steinen und Würfeln aus Halbedelstein beschwerten, »daß die Fremden für uns alle eine bestimmte Bedeutung haben. Keine gute Bedeutung, indes.«
    »Es waren keine Schiffe aus Wahnhall. Sie kamen von einem anderen Ort!« erklärte der Chronist. Luxon hörte sich schweigend und in steigender Verwunderung die Begründungen an. Sie klangen überzeugend. Ihm fiel etwas ein, und er sagte:
    »In wenigen Tagen kommt ein kleiner, alter, buckliger Mann aus Hadam. Es ist mein Chronist, und ihr sollt ihm helfen, wenn es nötig ist. Er soll aufschreiben, was der neue Shallad tut, und ihr wiederum dürft nicht meinen, daß eure Tätigkeit von mir deswegen geringgeschätzt wird. Er lebt und arbeitet hier. Einverstanden?«
    »Wir arbeiten mit ihm zusammen!« versprachen sie.
    »Danke. Ich habe vor, einige Schiffe auszuschicken. Sie sollen entlang der Bucht ohne Wiederkehr kreuzen und uns warnen, wenn die Fremden kommen.«
    Der Magier fuhr mit seinem Finger entlang einer krausen Zeile und brummte:
    »Hier steht’s. Das war einer der Vorschläge von uns. Auch wir meinen, daß die Schiffe nicht von Wahnhall kommen. Wir sind sicher, daß die Insassen der drei Schiffe in Wirklichkeit mächtige Vertreter von einem Reich sind, das niemand von uns kennt.
    Merke, Shallad Luxon!
    Wir wissen vieles vom Land nördlich der Dunkelzone. Viele mag es geben, Untergebene von Fürst Odam, die sich in der Düsterzone auskennen. Aber was weit im Westen jenseits von Wahnhall liegt – niemand weiß es. Nächtelang haben wir die Chroniken und Aufzeichnungen studiert, aber wir fanden kein einziges Wort.«
    Luxon konnte sich auf sein Gefühl verlassen. Er spürte tief in seinem Innern, daß die drei Schiffe ein Geheimnis verkörperten und eine der ersten Prüfungen für den neuen Shallad darstellen würden. Mit Worten des Dankes entließ er die klugen Männer und rief nach seinem Pferd und den Gardisten.
    Während er hinunter in die Stallungen ging, dachte er an den Austausch geschriebener Botschaften auf dem Weg des wechselnden Augenkontakts.
    Necron hatte in der tiefen Nacht erfahren, wie die Sache in Logghard und im Shalladad stand.
    Und Luxon wußte, was Necron hinausgetrieben hatte, was er erlebte und was er über die Vorfälle dachte.
*
    Auf dem hochgelegenen Achterdeck, hoch über den schweren Bronzelagern des Ruders, bildeten sie eine kleine Gruppe dunkler Gestalten. Gegen die klamme Morgenkälte hatten sie sich in die schweren Mäntel gehüllt. Trotzdem fröstelten sie.
    Mit zwei Dolchen war das vergilbte Pergament der Karte an die Bohlen geheftet. Necron zeigte auf die Klippen, die Seeungeheuer und die breiten Pfeile, die sich im Osten von Wahnhall zeigten.
    »Hier verläßt die reißende Strömung die Düsterzone. Sie zieht nach Norden, schwenkt nach Westen ab und rast im Westen, nach Süd zielend und zurück in die Düsterzone, wieder auf Skyll und Exinn zu. Dann taucht sie abermals in die Düsterzone ein, mit allen Opfern, die sie mitreißt.«
    Sein Zeigefinger umfuhr die Konturen des Landes, das hier als Halbinsel eingezeichnet war. Vor den Todesklippen befand sich ein tiefer Einschnitt, der der Öffnung eines Blasinstruments glich. In einer der bekannten Sprachen, dem Schattenwelsch, waren die Schriftzüge DIE TROMPETENBUCHT zu erkennen, halb verwischt und ausgebleicht.
    Der Steuermann, der die Karte längst kannte, warf knurrend ein:
    »Es ist der Morgen, an dem sich jeder, der ihn erlebt, einen Becher heißen Würzwein verdient hat. Hier sind wir, noch etwa eineinhalb Tage von der Trompetenbucht entfernt. Wenn es der einzige Strand ist; so bleibt die Bucht unser Ziel.«
    Der Wind kam jetzt, kurz nach der Morgendämmerung, aus Nordwest und ließ die Guinhan mit zischender Bugwelle und breit schäumender Kielspur nach Südwest kreuzen. In der Nacht hatte Necron zwei Wachen lang den Himmel und die See beobachtet und nichts gesehen außer den Zeichen der Dunkelzone, jenes Bandes, das die Welt umgab. Himmelssteine hatten ihre lautlos aufleuchtenden Bahnen gezogen und waren im Meer versunken. Hin und wieder gab es einen Vogelschrei und das Prusten riesiger Fische, die aus den Wellen tauchten. Das Leck war eine deutliche Gefahr. Mehr und mehr Planken lösten sich, und

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