Der Novembermörder
daily living, neue Maschinen und Reserveteile, Clubhäuser und Waffen. Die haben genügend Waffen für eine Revolution! Außerdem nehmen viele von ihnen selbst Drogen. Also auch Stoff für den eigenen Gebrauch. Sie sagen von sich selbst, dass sie zu dem letzten Prozent gehören – den Soziopathen, für die keine Gesetze gelten.«
Er schwieg und beide hatten den gleichen Gedanken. Jimmy sprach ihn aus: »Immer wieder muss ich dran denken, dass sie alles mit mir hätten machen können. Ich war vollkommen hilflos. Und dann noch ein hilfloser Bulle! Da wundert es mich richtig, dass sie uns nicht erledigt haben!«
Vor Irenes Augen öffnete sich eine blendende Explosionswolke und sie fühlte wieder die heiße Druckwelle im Gesicht. Sie konnte nur flüstern: »Sie wollten schon. Sie haben es versucht.«
Vorsichtig begann sie zu erzählen, so sachlich wie möglich. Immer wieder musste sie unterbrechen, um sich die Tränen abzuwischen, aber sie wollte, dass er erfuhr, was genau passiert war. Er war der Einzige, der möglicherweise ihre Gefühle verstand, da er ja dabei gewesen war. Während sie erzählte, fühlte sie, wie sich die letzten Gefühlsknoten in ihr lösten und eine Ruhe in ihr aufstieg. Ein beunruhigender Gedanke kam ihr – hatte sie jetzt etwa ihre Angst auf Jimmy übertragen? Kein einziges Mal unterbrach er sie in ihrem Bericht. Sein sichtbares Auge wich nicht vor ihrem Gesicht. Aber sein Kommentar, nachdem sie fertig erzählt hatte, beruhigte sie: »Was für ein Glück, dass du bei Bewusstsein warst und nicht ich! Denn ich war eine Niete beim Ballwerfen. Ich war immer am besten in Hochsprung und auf hundert Meter. Und das hätte uns nicht viel genutzt!«
Er lachte herzhaft und bot ihr aus der Bonbontüte an. Psychisch schien er unbeschadet zu sein, aber schlimmer war es mit dem Äußeren.
»Ein Riss in einem der Unterarmknochen. Weißt du, wie das heißt? Nein? Radiusfissur. Fraktur, das ist, wenn es gebrochen ist. Fissur, dann ist es gerissen. Man lernt eine Menge nützlicher Dinge, wenn man im Krankenhaus liegt. Aber man sollte eigentlich gesund sein, um das alles mitzukriegen. Heute musste ich zwei Stunden lang unten beim Röntgen liegen und auf eine Hirnuntersuchung warten. Die wollten prüfen, ob sich nicht irgendwo Blutungen zwischen den Hirnhäuten gebildet haben. Dann kriegt man nämlich ein … wie hieß das noch? Warte, ich habe es aufgeschrieben.«
Er stand auf und schlurfte zu seinem Nachttisch. Erschrocken musste Irene feststellen, dass er viel schlimmer verletzt war, als sie gedacht hatte.
»Jimmy, was ist denn mit deinem Bein passiert?«
Er wandte sich zu ihr um und verzog das Gesicht.
»Ein kräftiger Schlag oder Tritt gegen die Steißwirbel. Die sollen morgen geröntgt werden. Sie haben den Verdacht, dass einer der Steißbeinknochen gebrochen ist. Es tut verdammt weh beim Gehen oder Sitzen. Und deshalb lege ich mich jetzt auch hin. Du musst also herkommen. Hier ist der Zettel!«
Triumphierend winkte er mit einem kleinen Zettel, von einem Notizblock abgerissen.
»Computertomographie. Nein, so heißt die Untersuchung. Ein Apparat, in den sie einen reinschieben. Aber man spürt nichts. Das, wovor sie Angst haben, dass ich das kriegen könnte, das heißt Subduralhämatom. Das kann mehrere Tage später auftreten, sagen die Ärzte. Und deshalb darf ich nicht vor Freitag nach Hause. Au, verdammt!«
Letzteres sagte er, als er seine Beine ins Bett heben musste. Mit einem Seufzer fuhr er fort: »Danach werde ich sicher noch eine Weile krankgeschrieben. Aber ich werde versuchen eine Hauspflege zu kriegen.«
Das sagte er mit einem Zwinkern und einem vielsagenden Blick zur Tür. Eine junge Schwester mit einem taillenlangen blonden Zopf kam herein. Sie nickte Irene zu und schenkte Jimmy ein strahlendes Lächeln. Eine leichte Röte auf den Wangen und ihr Augenaufschlag ließen vermuten, dass es nicht schwer sein würde, sie zu überreden. Sie zwitscherte munter zu Jimmy: »Röntgenvorbereitungen. Nur ein kleiner Einlauf. Ich kann nachher kommen und ihnen dabei helfen, wenn Sie wollen.«
»Now you’re talking, baby. Nein, Spaß beiseite. Natürlich schaffe ich das allein.«
Sie lachte und legte eine kleine gelbe Plastiktube mit einem langen Schnabel auf den Nachttisch. Mit einem letzten Blinzeln verschwand sie auf dem Flur.
Irene stand auf und sagte: »So, dann lasse ich dich lieber mit deinen analen Orgien allein. Wenn ich es morgen nicht schaffe reinzugucken, rufe ich an.«
»Es reicht,
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