Der Novembermörder
Keller fand. Aber ihr Mann hatte anscheinend eine Frage gestellt? Sie sah die schwarzen Lettern, die über die halbe Titelseite liefen: »Richard von Knecht tot nach Fall vom Balkon!« Weiter unten auf der Seite stand in kleineren Lettern: »Polizei schweigt. Unfall oder Selbstmord?«
Sie konnte zur Antwort nur nicken. Als sie aus der Küche ging, bemerkte sie über die Schulter: »Ich geh jetzt duschen. Liebling, sieh zu, dass der Kaffee stark genug wird!«
Genussvoll blieb sie eine ganze Weile unter der Dusche stehen. Deutlich wacher ging sie danach ins Schlafzimmer und zog sich an: schwarze Levi’s-Jeans, ein schwarzes Polohemd und einen knallroten Pringle-Pullover mit V-Ausschnitt. Nun ja, eigentlich eine Raubkopie von Pringle, aber immerhin. Dünnen blauen Eyeliner, Ton in Ton mit den Augen, ein wenig schwarze Mascara und einen Spritzer Red Door. Jetzt war sie bereit, Berge zu versetzen!
Die Mädchen hatten schon ihr Frühstück beendet, als sie hinunterkam. In einer Viertelstunde würde ihr Bus fahren. Katarina wirbelte herum, um ihre Schultasche zu suchen, während Jenny noch am Tisch saß. Sie wusste nicht so recht, wie sie am geschicktesten ihren Wunsch äußern sollte: »Also, kriege ich das Geld für eine elektrische Gitarre? Oder kriege ich eine zu Weihnachten?«
»Eine elektrische Gitarre?«, wiederholten ihre Eltern gleichzeitig.
»Ja. Eine Band in der Schule braucht jemanden, der Gitarre spielen und singen kann … und da haben sie mich gefragt. Einer der Typen lernt Gitarre spielen beim gleichen Lehrer wie ich.«
»Sind das Jungs aus deiner Klasse in dieser Band?«, fragte Krister.
»Nein, drei Jungs und ein Mädchen aus der Neunten.«
»Aus der Neunten! Aber du gehst doch erst in die Siebte, mein Schätzchen!«
»Ich bin kein Schätzchen!«
Sie fuhr mit tränenfeuchten Augen vom Stuhl auf und sauste aus der Küche. Katarina steckte ihren Kopf durch die Küchentür und fragte verwundert: »Was ist denn jetzt schon wieder?«
»Sie will eine elektrische Gitarre haben und in einer Band in der Schule spielen«, seufzte Krister.
»Ach so, deswegen. Das sind die White Killers. Starke Sache. Spielen manchmal auch in Freizeitheimen«, erklärte Katarina.
»White Killers? Was ist denn das für ein Name für eine Band? Sind das Satanisten oder so was?«
Krister hatte für gewöhnlich eine ziemlich lange Leitung, aber jetzt hatte er Lunte gerochen.
»Na ja …. eher so eine Art Punk-Rock, irgendwie … glaube ich. Punx not dead, Väterchen!«
Mit einem lauten Lachen sprang Katarina in den Eingangsflur, und die Mädchen liefen zur Bushaltestelle.
Irene spürte selbst die Müdigkeit in ihrer Stimme, als sie stöhnte: »Herr, gib mir Kraft und Stärke! White Killers! Bist du heute Abend zu Hause? Ich weiß nicht, wann ich komme. Das mit dem von Knecht ist ein heißes Eisen. Vieles deutet darauf hin, dass er ermordet wurde, aber bis wir den Bericht von der Obduktion haben, halten wir uns noch zurück. Es scheint ja nichts zur Presse durchgesickert zu sein. Sobald die Lunte riechen, werden sie bestimmt das Präsidium stürmen!«
»Wann ich zu Hause bin? Nicht vor sechs. Aber das passt ganz gut, denn Katarina hat doch heute Abend Ju-Ju-Training. Dann kann ich versuchen, mal mit Jenny zu reden. Nun sieh aber zu, dass wir loskommen.«
Sammie durfte noch eine Runde pinkeln gehen, bevor er bei einer Tagesmutter abgeliefert wurde, einer pensionierten Witwe. Ihre Pension verlängerte sie, indem sie sich gegen Schwarzgeld um vier Hunde kümmerte. Jenny und Katarina holten Sammie ab, wenn sie von der Schule nach Hause kamen.
In den Räumen der Kriminalpolizei herrschte schon reger Betrieb, als Irene Huss kurz vor acht dort eintraf. Die jährliche Grippewelle war im Anmarsch, aber bis jetzt grassierten erst die ganz normalen Herbsterkältungen. Der Mordkommission fehlten drei Inspektoren, die krankgemeldet waren. Das war nicht einfach, aber Kommissar Andersson versuchte, Beamte aus anderen Abteilungen loszueisen.
Sven Andersson sprach mit dem Kommissar für Allgemeine Fahndung, Birger Nilsson, der widerspenstig einen Inspektor zur Verfügung stellte, als er begriff, dass der Tod von Knechts bald alle Titelseiten füllen würde. Unfall oder Selbstmord ist so eine Sache, aber Mord ist etwas ganz anderes. Birger Nilsson begann daraufhin interessiert nach Details zu fragen, aber Andersson war im Stress und gab sich wenig auskunftsbereit. Er wusste, dass sich seine neue Ermittlungsgruppe bereits versammelt
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