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Der Novembermörder

Der Novembermörder

Titel: Der Novembermörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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drängte Irene, sich doch vom Kuchen zu nehmen. Diese schätzte sich glücklich, dass sie es nicht geschafft hatte, zu Mittag zu essen. Einschließlich Rosinenwecken und Napfkuchen gab es zwölf Sorten.
    Das ältliche Dackelfrauchen plauderte gern über alles Mögliche, ausgenommen die Geschehnisse vom gestrigen Abend. Irene erfuhr von ihrer kinderlosen, aber glücklichen Ehe, ihrer Zeit als Bibliothekarin in der Stadtbibliothek und der unerschöpflichen Quelle der Freude, die Snobben in den letzten acht Jahren für sie war. Mit leichter Verzweiflung lehnte Irene artig den zehnten Kuchen ab – Mürbeteig mit Himbeerkonfitüre – und beschloss, zur Sache zu kommen. Sie schob die Kaffeetasse von sich und wurde ganz Polizeibeamtin. In offiziellem Ton sagte sie: »Frau Karlsson. Ich muss in wenigen Minuten gehen. Es gibt nichts Neues, an das Sie sich erinnern, jetzt, nachdem der erste Schock sich gelegt hat? Sie sind sich immer noch sicher, dass Sie keinen Schrei gehört haben?«
    Eva Karlsson sank in sich zusammen, musste aber einsehen, dass das Fest vorbei war.
    Irene sah, wie schwer es Eva Karlsson fiel, sich an das zu erinnern, was am Abend zuvor geschehen war. Sie schaute nachdenklich zum Fenster. Nicht, um festzustellen, dass es dringend geputzt werden musste, sondern in einem ernsthaften Versuch, sich zu konzentrieren und nachzudenken. Jetzt konnte sie es nicht länger aufschieben. Der weiße Kopf nickte langsam, als sie sagte: »Er hat nicht geschrien. Ich bin mir absolut sicher.«
    Was also bedeutete, dass Richard von Knecht ohnmächtig gewesen war, als er hinunterstürzte und auf die Pflastersteine fiel. Die Kuchen machten bei dem Gedanken in Irenes Magen einen kollektiven Purzelbaum.
    Snobben schnarchte laut auf seinem Sessel und sah nicht einmal auf, als Irene aufstand und sich für Kaffee und Kuchen bedankte.
    Sie ließ den Wagen stehen. Einen nähergelegenen Parkplatz würde sie kaum finden. Die auf dem Markt waren immer von Kunden der Bank, des Supermarkts oder der kleinen Läden belegt. Sie ging in einen Blumenladen und fragte nach, wo Zahnarzt Tosse seine Praxis hatte. Die freundliche Dame mittleren Alters deutete mit einem erdigen Daumen zur Rolltreppe. Sie war gerade dabei, Hyazinthen in einen großen Korb zu pflanzen. Zum ersten Mal in diesem Jahr hatte Irene das Gefühl, dass Weihnachten sich näherte. Das lag sicher am Hyazinthenduft, denn draußen herrschte eiskaltes, nebliges Regenwetter.
    Sie fuhr mit der Rolltreppe eine Etage nach oben und gelangte direkt vor die Tür von Sven Tosses Praxis. Ein glänzendes Messingschild sagte ihr, dass sie richtig war. Jemand hatte sein Bestes getan, um diese Information unkenntlich zu machen, indem er schwarze Farbe übers Schild gesprüht hatte. Sie klingelte, und nach einem kurzen Moment kam eine junge Praxishelferin in einem zartrosa Anzug und öffnete ihr. Ihr Lächeln war gleichzeitig warm und professionell, als sie fragte: »Guten Tag, womit kann ich helfen?«
    »Inspektorin Irene Huss. Ich möchte zu Herrn Doktor Sven Tosse, es geht um den Mord an Richard von Knecht.«
    Die veilchenblauen Augen der Schwester wurden kugelrund, genau wie ihr Mund. Schnell trat sie zur Seite und machte eine einladende Geste zum Wartezimmer hin. Eilig verschwand sie daraufhin den Flur entlang auf eine offene Tür zu, aus der das schneidende Geräusch eines Zahnarztbohrers zu hören war. Irene erschauerte unfreiwillig. Das lag an dem Geräusch und dem Geruch. Die waren in allen Zahnarztpraxen gleich. Aber damit hatte die Ähnlichkeit mit den Praxen, die sie früher gesehen hatte, auch schon ein Ende.
    Das Wartezimmer war leer. Ein großer handgeknüpfter Wollteppich in gedämpften Herbsttönen lag auf dem Boden. An den Wänden hingen große Grafiken. Ein ausladendes braunes Ledersofa und vier dazu passende Sessel, zwei Glastischchen und ein hohes Zeitschriftenregal verliehen dem Zimmer eine exklusive Atmosphäre. Gleichzeitig war es gemütlich. Das Wartezimmer war von der Anmeldung durch eine Glaswand getrennt, in der sich ein phantastisches Salzwasseraquarium befand. Und über alles legte sich ein angenehmer Geräuschfilter aus leiser klassischer Musik.
    Das Bohrergeräusch war nicht mehr zu hören. Durch die Tür kamen die Praxishelferin und ein dünner, sehniger Mann mit stahlgrauem Haar. Er sah mindestens zehn Jahre jünger aus als sechzig. Der Blick, den er Irene zuwarf, war scharf und intensivblau. Er passte zu seiner hellblauen Praxiskleidung. In den Augen war eine

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