Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert
nicht im Takt, dafür aber immer schwungvoller. Monis Begeisterung schien ihn anzustecken. Vincent brüllte sogar den Refrain mit, während Monis lange Haare im Fahrtwind flatterten wie eine Flagge.
»We can be Heroes/ We can be Heroes/ We can be Heroes/ Just for one day/ We can be Heroes …« Erschöpft ließ Moni sich wieder auf den Rücksitz fallen und sagte: »Geil!«
Nachdem sie sich ein wenig beruhigt hatte, fügte sie hinzu: »David Bowie ist der Größte.«
Als das Lied längst zu Ende war und Vincent das Radio wieder leiser gedreht hatte, sang sie noch immer still vor sich hin: »We’re nothing, and nothing will help us/ Maybe we’re lying, then you better not stay/ But we could be safer, just for one day/ Oh-oh-oh-oh, oh-oh-oh-oh …«
Sie steckte sich wieder eine Zigarette an, rauchte und schien in Gedanken. Bis sie schließlich sagte, als wäre sie aus einem Dämmerschlaf erwacht: »Fahr da vorne mal hoch!«
Sie zeigte von der Bundesstraße, auf der wir den Rhein entlangfuhren, nach rechts, wo eine kleinere Straße einen steilen Berg hinaufführte.
Klemens bog ab und heizte den Berg hoch bis zu einemPlateau, auf dem ein Hotel stand. Dort parkte er den Wagen. Alle stiegen aus.
»Hier ist der Loreleyfelsen.« Moni zeigte mit einer ausholenden Armbewegung um sich.
»Der was?«
»Loreley«, antwortete Moni und zitierte:
»Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin.
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein.
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.«
Klemens und Vincent dachten offenbar, Moni hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank.
Sie sahen sich amüsiert an. Moni bemerkte es, vergaß ihre Selbstvergessenheit und sagte ein wenig überheblich: »Kennt ihr nicht, was?«
Vincent wurde rot. Klemens schüttelte den Kopf.
»Heinrich Heine, der bedeutendste Dichter Deutschlands. Ein irrer Typ, angefeindet und verfolgt.«
Sie standen jetzt auf einem Aussichtsplateau und schauten zum Rhein hinunter, auf dem eine Menge Schiffe fuhren. Es war ein fantastischer Ausblick, sodass die drei ein paar Minuten lang schwiegen und andächtig in die Ferne blickten. Doch ehe sie gänzlich im Gefühlsstrudel versinken konnten, holte Moni sie zurück auf den Boden der Realität.
»Hier oben auf diesem Felsen saß der Legende zufolge eine Nixe, kämmte ihre langen goldenen Haare und zog die Schiffer, die unten vorbeifuhren, mit ihrem Gesang an. Die waren so hingerissen von der Stimme und der Schönheit der Nixe, dass sie trotz gefährlicher Strömung nicht mehr auf den Kurs achteten. Die Schiffe zerschellten an den Felsen.«
Moni zeigte nach unten. Dann drehte sie sich suchend um sich selbst.
»Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar.
Ihr goldnes Geschmeide blitzet
Sie kämmt ihr goldenes Haar …«
Sie stockte. »Verdammt, hier muss irgendwo eine Statue sein.«
Wieder schaute sie sich um.
»Wo?«, fragte Vincent.
»Keine Ahnung, aber irgendwo hier.«
»Ist ja auch egal«, sagte Klemens.
»Genau. Fahren wir weiter.« Moni schien erleichtert.
Sie gingen vom Aussichtsplateau zurück zum Auto. Kurze Zeit später waren wir wieder auf der Rheinstraße. Moni hielt den Kopf aus dem Fenster und versuchte noch immer, die Statue zu entdecken.
»Da!« Vincent zeigte auf eine kleine Insel mitten im Rhein, wo tatsächlich eine Skulptur aus Stein stand.
»Was?« Klemens schaute nun ebenfalls zu der kleinen Insel hinüber. »Aber die ist ja gar nicht da oben …«
»Pass auf!«, rief Vincent.
Der Wagen schlingerte auf der schmalen Fahrbahn. Klemensbrachte ihn zurück in die Spur. Moni zog den Kopf ins Wageninnere zurück und sagte:
»Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn.
Und das hat mit ihrem Singen
Die Loreley getan.«
* * *
Als die Nachrichten gesendet wurden, drehte Moni das Radio wieder ein wenig lauter.
»Auf Jürgen Ponto, einen der bedeutendsten deutschen Bankiers, ist heute Nachmittag ein Attentat verübt worden. Ponto, Vorstandsvorsitzender der Dresdner Bank, wurde vor seinem Haus in Oberursel mit einer großkalibrigen Waffe getötet. Die Tat wurde angeblich von zwei Frauen und einem Mann verübt, die flüchtig sind. Die Täter konnten mit einem Personenwagen entkommen. Eine Großfahndung wurde eingeleitet. Gesucht werden auch vier Frauen, die Verbindungen zu Terroristenkreisen haben. Für die Ergreifung hat die Bundesregierung eine Belohnung von 100
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