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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Schmeling tat, wie ihm befohlen. Er traf den Gegner am Kinn. Der schwankte. Dann kippte er wie ein Mehlsack zu Boden und blieb liegen. Die Zuschauer jubelten. Der Ringrichter kniete neben Max’ Gegner und zählte von zehnherunter. Als er fertig war, riss Max die Arme hoch. Emilie auch, und mit ihr die ganze Halle. 10 000 Kehlen jubelten Max Schmeling zu. Ein paar Jahre später wurde Max der erste deutsche Boxweltmeister im Schwergewicht.
    Doch Leo schien das alles nicht zu interessieren. Er jubelte nicht, sondern schlich sich mit mir davon.
    * * *
    Natürlich musste Leo in die Schule. Die Schule war hässlich. Die Wände waren kahl, die Flure lang und düster, die Klassenzimmer riesengroß. Es saßen so viele Kinder darin, dass immer wieder durchgelüftet werden musste, auch im Winter, weil binnen kürzester Zeit die Luft so schlecht war, dass allen die Augen zufielen.
    Die Schule sah aus wie eine Kaserne, und im unterricht ging es auch so zu. Es herrschte ein Ton wie auf dem Kasernenhof. Die Lehrer führten sich auf, als wären die Kinder widerspenstige Esel und sie die Zuchtmeister, mit der Peitsche in der Hand. Nur war die Peitsche ein Rohrstock, der nicht selten auf Kinderhintern klatschte, die über die Schulbank gebeugt werden mussten. Prügelstrafe nannte man das.
    Ich hätte es nicht geglaubt, hätte ich es nicht mit eigenen Augen gesehen, denn Leo nahm mich anfangs mit. Ich saß im Schulranzen und beobachtete die wütenden Lehrer und ihre eingeschüchterten, ängstlichen Schüler. Der schlimmste Lehrer war Dr. Gäbler. Er hatte ein Holzbein und unter den Achseln tellergroße Schweißflecken. Auch im Winter. Sein Gesicht war mit tiefen Narben übersät. Alle wussten warum. Gleich zu Anfang des Schuljahrs hatte Dr. Gäbler den Schülern stolz erzählt, wie er im Schützengraben gelegen und für sein Vaterlandgekämpft hatte. Dabei hatte ihn ein Bombensplitter getroffen, ihm ein Bein abgerissen und sein Gesicht verunstaltet.
    »LEONHARD!« Dr. Gäbler brüllte durchs Klassenzimmer und peitschte dabei mit dem Rohrstock aufs Pult. »AN DIE TAFEL!«
    Leo war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, das sah ich sofort. Mit Gedanken, die um alles Mögliche kreisten, nur nicht um die Zahlen, die an der Tafel standen und zusammengerechnet werden wollten. Aber nicht zusammengerechnet werden konnten. Jedenfalls nicht von Leo.
    »PFOTEN VOR!«, donnerte Dr. Gäbler.
    Leo wusste sofort, was das bedeutete. Er streckte zuerst die eine Hand vor, auf die Dr. Gäblers Rohrstock sodann zehnmal niedersauste. Dann kam die andere Hand an die Reihe.
    Bei jedem Schlag zuckte Leo zusammen, und alle anderen Schüler mit ihm. Tränen liefen ihm über die Wangen. Ich litt mit ihm. Jeder Schlag bereitete auch mir Schmerzen.
    Als Dr. Gäbler fertig war, waren Leos Hände rot wie Klatschmohn und schwollen an.
    * * *
    Else bekam einen Wutanfall, als sie die geschundenen Hände ihres Sohnes sah. Sie ballte die Fäuste und verfluchte Dr. Gäbler. »Das wird der Kerl mir büßen!«
    Sogleich machte sie sich auf den Weg in die Schule. Sie verlor kein Wort darüber, was sie Dr. Gäbler angedroht hatte. Auf jeden Fall ließ er Leo von da an in Ruhe.
    Natürlich gab es auch andere, nette Lehrer und Lehrerinnen. Zum Beispiel Fräulein Niermeyer. Sie schlug die Schüler nicht. Das musste sie auch gar nicht. Sie hatte bessere Argumente alsden Rohrstock. Sie überzeugte durch Freundlichkeit und ein reizendes Äußeres. Fräulein Niermeyer strahlte, wenn sie das Klassenzimmer betrat, und sie strahlte, wenn sie es nach dem unterricht verließ. Wenn sie an der Tafel stand, spitzten alle Schüler die Ohren und hingen an ihren Lippen. Alle machten ohne Murren ihre Hausaufgaben. Wurden die Jungs aufgefordert, an der Tafel Rechenaufgaben zu lösen, scheiterte der ein oder andere, obwohl sie wussten, wie man subtrahierte oder addierte. Aber sie alle hatten das hübsche Fräulein Niermeyer im Kopf. Da war für die Zahlen natürlich kein Platz mehr, sodass ein falsches Ergebnis gar nicht so verwunderlich war.
    Aber selbst dann war Fräulein Niermeyer nicht böse. Sie lächelte und sagte: »Das wird schon!«, oder: »Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen!«
    Alle Jungs waren in Fräulein Niermeyer verliebt. Auch Leo. Wenn er im Romanischen Café über seinen Hausaufgaben saß und dabei Else von der Lehrerin erzählte, geriet er jedes Mal ins Schwärmen und hatte danach ganz rote Backen.
    »Das muss ja ein richtiges Super-Fräulein sein«, sagte Else

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