Der Olivenhain
dass sie eher praktisch und bequem als schicksalhaft oder romantisch war.
»Amrit und ich, wir sind verliebt«, sagte Calliope schnell und bat ihre Mutter dann, ihr die Geschichte zu erzählen, wie sie und ihr Vater sich kennengelernt hatten.
»Wir haben uns immer gekannt«, sagte sie. »Das weißt du doch.«
»Aber es muss doch einen Moment gegeben haben, in dem du ihn angesehen und gemerkt hast, dass er mehr war als jemand, der nur auf der Plantage arbeitete.«
»Nein. Ich habe ihn geliebt, weil er immer da war.«
»Dann erzähl mir von dem Tag, an dem er dich gebeten hat, seine Frau zu werden. Wusste er, dass du ihn liebst?«
Ihre Mutter wandte sich um und blickte zum Haus zurück. »Mama fragt sich bestimmt schon, wo wir bleiben. Wir sollten zurückgehen.«
Calliope wünschte sich, dass ihre Mutter ihr noch einmal diese eine Geschichte erzählte, die sie in ihrer Kindheit immer gehört hatte: Wie Frank sie auf seinem Pferd aus dem Olivenhain entführt hatte, als wäre sie Guinevere und er Lancelot. Wie sie zum Fluss geritten waren und er ihr gestanden hatte, dass er nicht ohne sie leben könnte. Ihre Mutter beendete die Geschichte, die ungewöhnlich sentimental war, immer mit den Worten, dass der Krieg sie alle »plemplem« gemacht habe. Calliope hatte diese Geschichte als Kind geliebt. Sie idealisierte die Momente zwischen ihren Eltern, in denen ihr Vater ihrer Mutter kleine Wildblumen aus dem Hain mitbrachte und ihr Haarkränze daraus flocht.
Es war die Form von Liebe, nach der sie selbst ihr ganzes Leben gesucht hatte, nach der sie sich während ihrer Ehe so verzweifelt gesehnt hatte. Und nun musste sie sich eingestehen, dass alles nur ein Produkt ihrer Fantasie gewesen war, dass ihre Mutter und ihr Vater nichts weiter gewesen waren als Freunde, die eine Familie miteinander hatten. Die Worte ihrer Mutter klangen in ihr nach: Er war immer da.
Bets stand auf und machte sich auf den Weg zurück zum Haus. Calliope hatte ihr immer noch nicht gesagt, dass sie weggehen würde. »Mum«, brachte sie noch heraus, dann begann sie zu weinen.
»Deb geht es gut«, sagte Bets, kam zurück zur Bank und streichelte ihrer Tochter über den Rücken. »Es geht ihr gut. Ich habe ihr Geld gegeben, bevor sie wegging, und ihr den Weg zu einer von Onkel Wealthys alten Hütten im Gebirge beschrieben. Ich bin sicher, dort ist sie jetzt, und wenn sie so weit ist, werden wir sie besuchen.«
Dieses Geständnis erschütterte Calliopes Vertrauen in seinen Grundfesten. Sie war sich absolut sicher gewesen, dass ihre Mutter nicht wusste, wo ihre Tochter sich aufhielt, dass Deb auf eigene Faust geflohen war. Tränen liefen ihr über die Wangen und tropften auf ihren Kragen. Ihr Bein begann zu schmerzen, und nach einer Weile musste sie sich die Nase am Saum ihrer Bluse putzen. Schließlich war sie wütend genug, um zu sagen, was sie zu sagen geplant hatte.
»Ich gehe.« Sie griff nach der Hand ihrer Mutter.
»Aber du bist doch gerade erst gekommen«, erwiderte ihre Mutter. »Und du hast noch nicht einmal Mama begrüßt.«
»Nein. Ich gehe fort aus Kidron. Ich habe ein gutes Angebot für den Laden, und Amrit möchte, dass ich zu ihm ziehe. Nach Pittsburgh.«
»Oh.«
Ihr Schweigen war kein gutes Zeichen. Das wusste Calliope noch aus ihrer Kindheit. Eine schweigende Mutter bedeutete Ärger. Ärger mit Folgen, die im Voraus nie abzuschätzen waren. Als ihr Bruder damals fortgegangen war, war es Calliope zugefallen, ihre Mutter darüber zu informieren. Bets hatte Frank zugenickt und sich dann zwei Wochen lang in ihrem Zimmer eingeschlossen.
»Ich komme ja wieder«, sagte Calliope. Ihre Stimme schrillte eine Oktave höher, als ihr lieb war.
Ihre Mutter starrte in die untergehende Sonne am Horizont. Ohne zu blinzeln sagte sie: »Ja, du wirst wiederkommen. Zu einer Beerdigung.«
Vertraulich
Empfehlungsschreiben an die MacArthur-Stiftung
Bewerber: Amrit Hashmi
Forschungsgebiet Genetik – Schwerpunkt: Erforschung des Langlebigkeitsgens mit dem erklärten Forschungsziel, Menschen zu biologischer Unsterblichkeit zu verhelfen
Standort: Universität von Pittsburgh
Geografisch gesehen ist dies ein wichtiger Standort, da wir so den Kreis der von uns ausgezeichneten Universitäten beständig erweitern können
Veröffentlichungen und Auszeichnungen: siehe Anhang
Zusammenfassung der Forschungsarbeit:
Seit zwei Jahrzehnten erforscht Doktor Hashmi den genetischen Mechanismus des Alterns und der Langlebigkeit. Anfänglich konzentrierte sich
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