Der Orksammler
er ihnen folgen ließ. »In Ordnung?«
Begeistert schob sich der Stabsarzt die Augenlinsen auf der Nase hoch. »Sehr gern, Herr Kollege! Wie es der Zufall will, hätte ich schon eine Theorie …«
»Wie schön!« Hippolit hob gebieterisch eine Hand. »Zuvor würde mich jedoch Ihr Fundstück dort interessieren.« Er umrundete die Bahre mit dem Toten und trat neben Meister Lemuel, der noch immer den Tiegel mit dem Herz bewachte. »Gewiss haben Sie es bereits untersucht? Zu welchen Ergebnissen sind Sie gelangt?«
Lemuel glotzte blöde, hüstelte. »Nun, äh … es ist ein Herz, würde ich sagen.«
Hippolit schloss die Augen und zählte stumm bis zehn. »Tatsächlich? Nun, zum Zweck der kriminologischen Erkenntnisfindung würde ich es mir gerne ansehen.«
Während der Stabsarzt das Organ aus der Flüssigkeit fischte und auf einem mäßig sauberen Stahltablett für die Untersuchung anrichtete, dachte Hippolit konzentriert nach.
Wie man es auch drehte und wendete – je mehr Informationen zusammenkamen, desto weniger Sinn machte das Ganze. Hippolit versenkte sich in sich selbst, versuchte den lautstark werkelnden Mediziner aus seinem Bewusstsein auszublenden. Er musste das Mysterium von der anderen Richtung her aufdröseln. Worauf war der unbekannte Täter aus? Wenn es ihm gelang, diese Frage zu klären, käme er vielleicht einen Schritt weiter.
Der Mörder sammelte Orkherzen. Zumindest hatte es bis eben den Anschein gehabt. Aber hätte er dann einen Menschen entführt und getötet? Und hätte er eines der mühsam erbeuteten Organe achtlos in einem Dornbusch zurückgelassen?
Ein aufforderndes Hüsteln verkündete, dass das Herz bereit war. Hippolit schlug die Augen wieder auf, griff sich eine lange Pinzette und eine Vergrößerungslinse aus Lemuels Bestanden und machte sich ans Werk.
»Merkwürdig, dass nicht alle Vermissten wieder aufgetaucht sind«, murmelte er, während er die faserigen Überreste der Aorta mit der Pinzette ergriff und in die Länge zog. »Wenn der Mörder einzig auf die Herzen aus ist, sollte man meinen, dass er im Anschluss an seine Bluttaten sämtliche nutzlosen Überreste entsorgt …«
»Oh, vielleicht hat er das«, warf Meister Lemuel ein. »In dieser trostlosen Steinwüste gibt es eine Menge kleiner und mittelgroßer Tiere, die in Ermangelung anderer Nahrungsmittel auch Aas nicht verschmähen. Möglicherweise sind die übrigen Vermissten längst in einem unterirdischen Fuchs- oder Vulvattenbau gelandet und werden dort in aller Seelenruhe abgenagt.«
Zum ersten Mal hatte der Mediziner, ohne es zu ahnen, etwas gesagt, das nicht von vornherein indiskutabel oder schlichtweg dumm war. Hippolit interessierte sich momentan dennoch nicht dafür. Er hatte eine Entdeckung gemacht.
»Dies ist kein Orkherz!«
»Wie meinen?«
Hippolit richtete sich auf und deutete mit der Spitze der Pinzette auf zwei schlaffe Höhlungen, eine auf jeder Seite des rosigen Klumpens. »Die Herzkammern. Sie sind zu klein für das Herz eines Orks. Darüber hinaus münden obere und untere Hohlvene sowie die Lungenvenen direkt in die Vorhöfe – auch wenn das aufgrund der Beschädigungen fast nicht mehr zu erkennen ist.« Erwies auf einige zerfetzte Gebilde, die wie Rüssel in verschiedene Richtungen aus dem Muskelgewebe hervorstanden. »Orks dagegen verfügen über vier Hauptschlagadern, die sich in einem dem eigentlichen Herzen vorgelagerten Aderngeflecht vereinen, dem sogenannten Valgo-Kortex.«
Meister Lemuel war so verdattert, dass er darüber völlig vergaß zu hüsteln. »Sie meinen …?«
»Quintessenziell.« Hippolit legte Pinzette und Lupe beiseite. »Es kann kein Zweifel bestehen: Dieses Herz stammt nicht von einem Ork, sondern von einem Menschen. Und da außer unserem Freund Mernowyn dort hinten kein menschlicher Krieger vermisst wird, können wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es einst ihm gehört hat.«
Er lächelte Meister Lemuel an, der seinen Blick mit einem verständnislosen Blinzeln hinter dicken Glaslinsen erwiderte.
»Fatalerweise bringt uns das keinen Schritt weiter.« Ermattet sank Hippolit wieder in sich zusammen.
Der Stabsarzt holte Luft, um zu hüsteln oder eine Frage zu stellen – was von beidem, blieb auf ewig sein Geheimnis. Denn noch bevor er den Mund öffnen konnte, ertönte von außerhalb des Lazarettzeltes plötzlich ein durchdringender, röhrender Ton.
»Bei Lorgon, was …?« Verwirrt sah Hippolit auf.
Mit einer Behändigkeit, die man
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