Der Orksammler
dieses Lager und freust dich über jeden getöteten Ork. Findest du das nicht verdächtig? Es gibt da ein altes Trollsprichwort, und das geht so: Schon verdächtig, oder?«
Kiemwhey lachte. Es klang unangenehmer als das Lachen der Orks. Selbstüberschätzung troff aus jedem seiner erstickten Japser.
»Ich bin kein Verdächtiger«, behauptete er. »Ich doch nicht, Großer! Bei Ubalthes, ich bin ein Krieger.« Die anderen Männer stimmten ihm zu, Krüge schlugen aneinander, Schaum spritzte durch die Nacht.
Ein Knabe, kaum älter als zwölf und so dünn und blass, dass Jorge für einen verstörenden Augenblick dem Eindruck erlag, es müsse sich um Hippolit handeln, erschien am Rand des Feuerscheins. Geduckt schlich er vorbei, offenbar in der Hoffnung, nicht gesehen zu werden.
Kiemwhey erblickte ihn trotzdem, packte ihn am Hemd und zog ihn zu sich ans Feuer. »Tomasp, da bist du ja«, sagte er.
Der Knabe sah sich nach allen Seiten um, als suche er nach einem Fluchtweg. Kiemwhey langte ihm zwischen die Beine, schob den Mund dicht an sein Ohr. Die anderen Männer lachten. Obwohl Kiemwhey flüsterte, konnte Jorge jedes seiner Worte verstehen:
»Na, mein Kleiner? Ich warte nachher wieder auf dich, klar? Du willst doch ein Mann sein, oder? Dass es manchmal wehtut, ist für einen strammen Knaben wie dich doch noch lange kein Grund, in einen Brunnen zu springen! Willst du, dass ich vorsichtig bin? Dann bin ich vorsichtig.«
Jorge hatte sich vorgenommen, Neutralität zu wahren. Er hatte sich vorgenommen, sich nicht in die Angelegenheiten dieser Männer einzumischen, lediglich als kühler Beobachter am Rande dabeizusitzen, ein paar Bier zu trinken, mit etwas Glück die eine oder andere Scheibe Krügerschwein abzubekommen und aufmerksam zuzuhören.
Es war eine Sache, dass diese Kerle – ungehobelte Klötze, die nicht einmal im Ansatz so etwas wie Humor besaßen – ihn die ganze Zeit »Großer« nannten. Trolle und Menschen kamen im Grunde gut miteinander aus, vor allem, wenn der Troll so angepasst war wie Jorge. Jetzt allerdings schaffte er es nicht länger, sich zu beherrschen.
Großer … Kleiner …
Blaak, was bildete sich dieser Kiemwhey eigentlich ein?
Jorge stellte seinen Humpen auf dem Boden ab, seine behaarte Pranke schoss vor. Er packte Kiemwheys Arm und drehte ihn herum, so dass dem Langhaarigen nichts anderes übrigblieb, als den Knaben loszulassen. Dieser zog sich blitzschnell aus seiner Reichweite zurück und eilte stolpernd davon.
Kiemwhey starrte Jorge an, dann grinste er. »Höhö?« Er zog seine dünnen Augenbrauen in die Höhe. »Was war das jetzt, Großer?«
Jorge verdrehte das Fleisch in seinen Pranken weiter, worauf Kiemwhey vor Schmerz aufschrie. Tränen schossen ihm in die Augen, flossen über seine weißen, aufgeschwemmten Gesichtszüge.
»Blaak! Was soll das, Großer? Willst du hier etwa den Moralisten raushängen lassen? Du weißt doch, in einem Heer dieser Größe …«
Die anderen Männer betrachteten das Geschehen mit Unverständnis, allerdings regten sie sich nicht. Vielleicht, weil Kiemwhey ihnen keinen Befehl dazu erteilt hatte. Sie waren Soldaten, sie konnten nicht reagieren, nur gehorchen. Muskeln einer Kompanie, Reflexe ohne eigenes Hirn.
»Ich sag dir mal, was los ist, Kiemwhey«, zischte Jorge und verdrehte den Arm weiter. Kiemwhey schrie jetzt wie ein kleines Kind. »Seit fast einer Stunde erzählst du mir einen Haufen Mist und zeigst nicht den mindesten Respekt vor dem Siegelring des Instituts. Du tust, als wärst du ein geselliger Knabe, mit dem man gut ein paar Bierchen trinken kann. Aber in Wirklichkeit hasst du alles und jeden und liebst nur dich. Tatsächlich, tief in dir drin, da weißt du, dass du ein kleiner Hosenscheißer bist. Wir Trolle haben da ein Sprichwort, Kiemwhey, und es geht so: Wenn du mich noch ein einziges Mal »Großen« nennst, werde ich dir den Kiefer ausrenken, und danach wirst du aussehen wie ein defekter Nussknacker. Um eins klarzustellen: Ich kann Orks auch nicht leiden, aber ich tanze nicht vor Freude, wenn ihnen plötzlich einer vor meinen Augen die Pumpe rausreißt. Und es mag sein, dass ich schon mit allem Möglichen Geschlechtsverkehr hatte, das will ich gar nicht leugnen – aber es war in der Regel alt genug, sich aus freien Stücken dafür oder dagegen zu entscheiden! Verstehst du, was ich zum Ausdruck bringen möchte, Kiemwhey?«
Kiemwhey nickte wild. Sein Gesicht hatte sich rot verfärbt, die Augen quollen froschartig hervor. Jorge
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