Der Pakt
Gedankenverloren strich er über sein aufwendig gearbeitetes Gewand. Nur - was nutzt uns das ...?
Flüchtig sah Tenango sich in dem weitläufigen Raum um, in dem sie, die noch verbliebenen Priester, sich versammelt hatten. Er war Teil des sogenannten Priesterpalastes, der dieser Bezeichnung aber bestenfalls durch seine Fassade gerecht wurde. Dahinter war alles von schlichter Zweckmäßigkeit, und die Gemächer der Priester waren nichts anderes als einfache Kammern, kärglich möbliert.
Am eindrucksvollsten waren noch Räume wie dieser. Hier hatten die Priester die Opfer für die Rituale vorbereitet - und die Überbleibsel hernach entsorgt ...
Die Drecksarbeit hatten wir zu verrichten, nichts anderes! befand Tenango in Gedanken, wie so oft in so vielen Jahren. Und jetzt endlich hätten wir uns zu wirklich Privilegierten, zu Herrschern aufschwingen können -
- ginge unser kaum gewonnenes Reich nicht gerade unter ...
Stumm gesellte Tenango sich zu den anderen und lauschte ihren Debatten. Sie entwarfen die abstrusesten Erklärungen für den drohenden Untergang Mayabs, doch ihre Phantasie versagte, wenn es darum ging, einen Ausweg zu ersinnen, eine Möglichkeit, wie das Ende abzuwenden sei.
Ihre endlosen Litaneien wirkten einschläfernd auf Tenango. Nichts vernahm er darin, was ihm nicht selbst schon in den Sinn gekommen wäre, ohne daß es ihn zu einer brauchbaren Lösung geführt hätte. Bis - »Die Götter wurden erzürnt«, sagte einer.
Die Götter erzürnt...
Tenangos halbgeschlossene Lider schnappten regelrecht auf. Irgend etwas in ihm schlug an, etwas wie ein feines Glöckchen, dessen heller Ton seinen müden Geist weckte.
»Die Götter sind tot«, behauptete ein anderer.
»Ich rede nicht von den Hohen Königen«, erwiderte der erste Redner. Tenango sah zu ihm hin - Hapai. Tenango kannte ihn als stets zurückhaltenden Mann, der wenig sprach; nur dann, wenn er etwas von Bedeutung zu sagen hatte.
»Von wem dann?«
»Von den Göttern«, erklärte Hapai betont. »Den wahren Göttern unseres Volkes.« Dabei ging der Blick seiner altersgrauen Augen ehrfürchtig in die Höhe.
»Du meinst -?«
Hapai nickte. »Ich meine jene, denen sich selbst die Hohen Könige unterordneten. Weshalb sonst sollten sie all die Rituale zelebriert und Opfer dargebracht haben?«
»Aus purer Lust an Grausamkeit und Tod«, meinte ein anderer aus der Runde.
»Vielleicht wollten sie uns das glauben machen«, mutmaßte Ha-pai. »Bei mir jedenfalls haben sie es nicht geschafft. Ich bin überzeugt, daß sie die Gunst der Götter erwerben wollten.«
»Was ihnen offensichtlich nicht gelungen ist.« Eine Priesterin, Lab-na mit Namen und noch jung an Jahren, hatte gesprochen und wies nun in Richtung der Fensterfront, meinte mit ihrer Geste aber, was jenseits davon seinen Lauf nahm.
»Ihnen nicht«, entgegnete Hapai geheimnisvoll. Wie zufällig tauschte er einen Blick mit Tenango. Als könne er spüren, wo seine Andeutungen auf fruchtbarsten Boden fielen und Sinn trugen.
Tenango nickte wissend und schaltete sich erstmals in das Gespräch ein: »Vielleicht können wir wettmachen, was den Hohen Königen nicht gelang.«
Stille senkte sich wie eine jeden Laut schluckende Glocke über die Versammelten. Nicht einmal das Geräusch ihres Atmens war mehr zu vernehmen. Dafür aber klang das Rascheln ihrer Kleidung überlaut, als alle sich Tenango zuwandten.
»Ich sehe, du verstehst«, brach Hapai schließlich das Schweigen.
Labnas Blick pendelte zwischen ihm und Tenango hin und her. Ein Funke glomm in ihren dunklen Augen auf, wuchs und wurde zur Flamme des Verstehens - und schließlich zum Feuer der Begeisterung.
»Ihr wollt -?« begann sie.
Tenango nickte und vollendete: »- die erzürnten Götter besänftigen. Ja, es könnte uns gelingen.«
»Aber wie?«
Hapai lächelte in Tenangos Richtung, wartete dessen zustimmen-des Nicken ab und sagte dann in feierlichem Ton: »Durch etwas, das alles bisher Dagewesene übertrifft! Eine Opferzeremonie, deren Ausmaß die Götter gnädig stimmen muß, auf daß sie den Untergang unserer Welt aufhalten -!«
Und Tenango fügte hinzu, jedoch leiser und verschlagener: »- ein Ritual, das den Göttern zeigen wird, wer wirklich der Ehre wert ist, über Mayab zu herrschen ...«
*
Der Abstieg gestaltete sich weniger schwierig, als Bonampak befürchtet hatte. Die Wände der durch das Beben entstandenen Schlucht waren nicht ganz senkrecht, sondern wiesen eine leichte Neigung auf, und zahlreiche Risse darin
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