Der Pakt
lieà Sin einen Schauer über den Rücken laufen, als würde ein Geist ihr mit einem eisigen Finger eine Spur über den Rücken ziehen. Er war schlank und nicht sehr groÃ, aber das spielte keine Rolle. Sie musste an die Elfen denken, wie sie in den alten Geschichten beschrieben wurden, als fremdartig und schrecklich, als Kinderräuber und Diebe. Seine Augen waren Silbermünzen, deren Farbe von schimmernder Magie überstrahlt wurde, und sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos.
Sins Furcht wuchs, als wäre der Finger auf ihrem Rücken zu einer Kralle geworden. Das Ding, das er wie ein vertrautes Lieblingsspielzeug in der Hand drehte, war ein glänzendes, scharfes Messer. Am Griff hatte es Verzierungen und die Klinge sah zu scharf aus, um echt zu sein.
Und als er sich zu ihr umdrehte, erkannte sie ein Dämonenmal an der scharfen Linie seines Kiefers. Es war ein dunkles, wogendes Mal , ein dunkler Schatten, der über die porzellanblasse Haut des Jungen kroch.
»Erinnerst du dich nicht an mich?«, fragte er. »Ich bin Jamie.«
Einen Moment lang weigerte Sin sich, zu akzeptieren, was sie sah, und in ihrem Kopf summte es wie von fernen Schreien. Sie wollte einfach nicht glauben, dass das der nette, unauffällige Junge war, den sie einmal bei einem Barbecue getroffen hatte, dass er Maes einziger Familienangehöriger war, ihr geliebter Bruder.
Wenn Maes Bruder zu so etwas werden konnte, was würden sie dann Lydie antun?
Ihr Gesichtsausdruck brachte Jamie offenbar zum Lachen. Er ging zu ihr hinüber und warf dabei das Messer von einer Hand in die andere, wobei es leise heulte wie ein hungriger Hund.
»Klingelt etwas?«
»Klar«, erwiderte Sin und bemühte sich, nicht gegen ihre Fesseln anzukämpfen und nicht vor ihm zurückzuweichen, als er näher kam. »Früher waren deine Augen braun.«
Jetzt waren seine Augen schimmernde, klare Magieteiche. Sie sahen furchtbar aus. Als wäre er blind.
Sein Mund verzog sich zu einem schiefen Lächeln, das ohne diese Augen und das Messer fast nett ausgesehen hätte. Alle anderen Magier sahen viel normaler aus, dachte Sin, und wieder fuhr ihr diese Klaue über den Rücken. Was hatte er sich nur angetan?
Immer noch lächelnd setzte er sich ihr gegenüber an den Tisch. Ãber dem Dämonenmal bildete sich ein Grübchen.
»Stimmt«, sagte er. Sin hatte schon fast vergessen, was sie gesagt hatte. Er wirkte ein wenig belustigt, als könne er ihre Gedanken lesen. »Ich bin ein ganz neuer Mensch.«
Vielleicht konnte er tatsächlich ihre Gedanken lesen. Sie wusste es nicht.
Jamie warf das Messer in die Luft und fing es wieder.
»Stell dir vor, deine kleine Schwester wird so wie ich.«
»Oh, das tue ich«, stieà Sin hervor.
»Dann solltest du das Richtige tun«, riet ihr Jamie. »Denk darüber nach. Es wird sich alles klären.«
Das Schiff schwankte. Sins Magen schien sich ebenfalls zu drehen, doch sie hatte nicht das Gefühl, als läge es am Schaukeln. Jamie sah auf die Uhr.
»Wie lange sollen wir beide hier wohl auf ein gefesseltes Mädchen ohne Kräfte aufpassen?«, fragte er gelangweilt.
Die Frage lieà Seb zum ersten Mal aufsehen.
»Keine Ahnung«, antwortete er. Er schien Mühe zu haben, die richtigen Worte zu finden. »Aber mir passt das ganz gut, ich wollte sowieso mit dir sprechen.«
»Das habe ich mir bei der ganzen Klopferei und Herumsteherei vor meiner Tür schon gedacht«, erwiderte Jamie gedehnt. »Ich sage dir mal etwas, was du wahrscheinlich noch nicht weiÃt: Wenn ich mit jemandem sprechen will, dann gebe ich ihm zarte Hinweise. Zum Beispiel öffne ich dann meine Tür.«
Er klappte das Messer zu und steckte es in die Tasche.
Obwohl Seb, solange Celeste und Gerald noch im Raum waren, den Kopf gesenkt und den Blick fest auf den Boden geheftet hatte, hatte Sin doch den Eindruck gehabt, als sei er sich ihrer Anwesenheit schmerzlich bewusst.
Jetzt schien keiner der beiden Jungen sie mehr wahrzunehmen.
Seb sah Jamie intensiv aus grünen Augen an, wie ein Mann mit einer Mission. Jamie hingegen sah nur gelangweilt aus.
»Seit wir hier sind, habe ich viel nachgedacht«, begann Seb. »Jetzt, wo alles, was früher wichtig war â Schule und so â, keine Rolle mehr spielt, ist alles so anders.«
»Ich weië, meinte Jamie ernst. »In der Schule warst du derjenige mit der Macht und
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