Der Paladin
und trank, indem sie den Verband mit den Fingern einer Hand auseinanderzog, um das Essen in den Mund zu bekommen, wobei sie den dreckigen Verband noch weiter beschmutzte. Ungeduldig. Besorgt. Während ihre Augen bei jeder Bewegung im Raum umherhuschten. Er stupste ihr Bein an. »Ganz ruhig.«
Sie atmete hörbar ein. »Zeit«, sagte sie mit dem gutturalen Murmeln, das sie in der Öffentlichkeit benutzte.
»Es klappt doch prima.«
Sie verdrehte besorgt die Augen. Er stellte sich den Rest ihres Gesichts vor, wie sie die Lippen schürzte.
Ihr lügt, Meister Shoka.
Er schwang sein Bein über die Sitzbank. »Na komm, Junge! Machen wir einen Spaziergang. – Ihr bleibt hier. Eßt zu Ende. Schlaft euch aus.«
»Wohin gehen wir?« fragte Taizu, als sie über die verwinkelte Pflasterstraße gingen, vorbei an Teehäusern, Pfefferverkäufern und Geschäften mit aufgehängtem Geflügel und Knoblauchzöpfen. Passanten schlenderten vorbei. Ein Krieg stand bevor, doch die Geschäfte gingen weiter. Frauen schleppten Vorräte. Männer schleppten Reissäcke. Die auf den Tafeln vor den Läden mit Kreide angeschriebenen Preise waren erwartungsgemäß hoch.
»Das Lager... wir nehmen eine...« Er sah, wie ihr Blick zu einem vorbeikommenden Karren hinüberschoß. »Was um Himmels willen ist bloß mit dir los? Hör auf, bei jeder Gelegenheit zusammenzuzucken!«
»Ich zucke nicht zusammen!«
»Du bist so nervös wie...«
Eine Jungfrau im Hurenhaus
, lautete der Ausdruck. »Beruhige dich, verflucht noch mal!«
Wieder verschoß sie einen Blick, diesmal zu einem Mann mit einer Ladung Holz auf dem Rücken. »Tut mir leid.«
»Nimm's leicht. Willst du, daß man uns Fragen stellt? Ich nicht.«
»Es sind einfach zu viele Leute!«
Er sah sie an, packte sie bei der Schulter und eilte mit ihr über die Straße, wobei er den gelben Rinnsalen auswich, die über das Pflaster liefen. »Das macht eine Stadt nun mal aus, meinst du nicht?« Ihre Panik war ansteckend. In ihr war eine Schwäche, die er niemals bei ihr vermutet hätte. Verdammt, sie war noch nie in einer Stadt gewesen, die größer war als Ygotai; sie hatten nur den Stadtrand von Anogi betreten, zu Pferd, und dann hatten sie gemacht, daß sie wieder weggekommen waren. Unterwegs hatte sie die Leute mit der gleichen Aufmerksamkeit betrachtet, ohne sich eine Bewegung entgehen zu lassen. Wahnsinnig gefährlich, würden die Leute meinen.
Im Wald hatte er sie gelehrt, auf jede Bewegung und jedes unbekannte Geräusch zu achten, doch hier war alles für sie fremd, und es war zuviel, zu schnell, alles stürzte auf einmal auf sie ein.
»Verschließ deine Ohren«, sagte er. »Sei blind. Vertraue meinen Augen. Du beobachtest zuviel, zu angestrengt. Achte einfach auf meine Zeichen. Wie beim Üben. Beherrsche deine Reaktionen.«
»Ja«, sagte sie leise. Ihr Gang veränderte sich, wurde entspannter.
»Einfach nur eine Menge Leute. Zivilisierte Leute. Die beißen dich nicht. Nicht am hellichten Tag. Machen auf diesen verdammten Pflastersteinen bloß eine Menge Lärm. Die Wände werfen den Schall zurück und verwirren deine Sinne. Ein neuer Ort, neue Sinneseindrücke. Du wirst dich dran gewöhnen.«
Besser, du beeilst dich damit
, dachte er.
Vielleicht sollte er sie zum Teehaus zurückbringen, sie bei Chun und den anderen lassen...
Sie verkraftet das alles nicht. Sie wird einen Fehler machen und sich auf den Erstbesten stürzen, der sie erschreckt.
Ein Berserker. Genau das ist sie.
Taizu im Dunkeln, eine nackte Gestalt inmitten der Banditen, mit blitzender Klinge...
Außer mir ist jeder ihr Feind. Von Hua bis hierher, ein einziges Sichverstecken und Weglaufen – davor zwei Jahre, in denen sie gelernt hat, das Gras wachsen zu
hören, meine Schritte im Dunkeln zu erkennen, im Matsch, auf der Veranda...
Alle anderen – jeder, den sie nicht identifizieren kann – tot. Reagieren ist alles, was ich ihr beigebracht habe...
Es ist ein Fehler, daß sie hier ist, wir sollten jetzt umkehren und zurückgehen...
Hinter ihnen näherten sich Reiter. Sie sah sich nicht um. Sie lebt sich ein, dachte er. Natürlich lebte sie sich ein, sie hatte noch nie versagt, in keiner Hinsicht.
Sie herumführen, ihr die Brücke zeigen, sie sich an die Stadt gewöhnen lassen, ein paar Fragen stellen, zum Teehaus zurückgehen und etwas trinken und sich mit ihr auf dem Zimmer unterhalten. Das war das Vernünftigste.
Es roch nach dem Fluß, noch ehe sie zum Markt gelangten, und die Masten der Flußkähne,
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