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Der Paladin

Der Paladin

Titel: Der Paladin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.J. Cherryh
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verkrampften sich seine Eingeweide. Er versuchte, nicht an die Zeit zu denken, als er einen solchen Haß empfunden hatte; einen Moment lang verspürte er ihn jedoch wieder mit aller Macht.
    »Hör zu. Als ich ausgebildet wurde, gab es einen Jungen. Sein Name war Abi. Seine Familie hatte Feinde. Eines Tages nahm er ein Schwert und griff ihr Haus an. Die Wächter töteten ihn. Das ist das Ende der Geschichte. Er wurde nie erwachsen. Er wurde nie klüger. Seine Feinde sind reich, und seine Familie fiel in Ungnade.«
    »Meine Familie ist tot«, sagte sie. Er hatte sie darauf gebracht.
    »Dann denk wenigstens an deinen Lehrer und mach mir nicht durch deine Dummheit Schande.
Irgend jemand
trägt Verantwortung für dich. Und wenn du schon alles weißt, kann ich dir nichts beibringen. Du bist aus dem Gleichgewicht gekommen – hier drinnen.« Er tippte sich auf die Brust. »Und alles ist weg. Nur dein Mut ist dir geblieben, weil du keine Angst vorm Sterben hast. Aber es kann gut sein, daß du am Ende tot bist, ohne etwas erreicht zu haben.«
    Sie blickte ihn finster an.
    »Als erstes«, sagte er, »überleg dir, wie du danach flüchten kannst.«
    Ihr Gesicht verfinsterte sich noch mehr.
    »Denk an die
Zukunft
, Mädchen. Denn es
gibt
ein
Nachher,
auf die eine oder andere Art – und eine Rache, die deinen Feinden die Möglichkeit gibt, sich an
dir
zu rächen, ist keine Rache. Denk ans
Nachher
, sage ich. Mach einen Plan, um zu überleben.«
    Etwas Eigenartiges lag in ihrem erschreckten Blick, eine panische Angst, die auch auf ihn übergriff, klar und scharf, als wäre sie noch immer gegenwärtig – so daß sein Herz klopfte und er spürte, wie ihm das Blut aus den Händen wich. Es überraschte ihn, wie stark sie war, jetzt, am hellichten Tag, es überraschte ihn, daß ein närrisches Mädchen die alte Wunde wieder aufrühren konnte.
    Ihre Angehörigen sind tot. Und es ist, als ob uns die Toten auf der Straße ausgesetzt, der allgemeinen Verachtung preisgegeben hätten. Oder als hätten wir unsere Toten irgendwie im Stich gelassen. Ich weiß, wo du bist, Mädchen. Ich bin selbst diese Straße entlanggegangen.
    Sie blickte ihn trotzig an. Und dachte sich ihren Teil, unerreichbar für ihn.
    »Ich will dir etwas erzählen«, flüsterte er, der solche Dinge noch nie ausgesprochen hatte, der niemanden gehabt hatte, dem er sie hätte erzählen können, und dem es jetzt, da er sie vor einem Bauernmädchen aussprach, das ihn wahrscheinlich auslachen und für einen Feigling halten würde, vor den eigenen Toten peinlich war. Doch es war ein vernünftiger Rat, und er entsprach der Wahrheit – im Gegensatz dazu, wovon die Balladen sangen und die Philosophen redeten. »Du sollst noch etwas erfahren, was ich in den neun Jahren auf diesem Berg gelernt habe, Mädchen, nämlich daß es keine Schande ist, zu schlau gewesen zu sein, um zusammen mit seinen Verwandten und Freunden zu sterben. Ich hätte zurückkehren können. Wenn ich Glück gehabt hätte, wäre ich bis zu Ghita vorgedrungen und hätte ihn getötet. Aber ich wäre nicht wieder entkommen, und ein Dutzend Halunken hätten mich überlebt. Ich wäre doch verrückt gewesen, wenn ich ihnen das Vergnügen gegönnt hätte,
meinen
Hals auf den Block zu legen. Ich ärgere meine Feinde dadurch, daß ich lebe. Ein toter Mann macht keinen Ärger. Ebensowenig ein totes Mädchen, dessen Namen niemand kennt. Also sei klug. Leb hier bei mir. Werde zu einem Gerücht, das den Schlaf deiner Feinde stört... und nicht zu einer Erinnerung, an die niemand denkt.
    Weißt du, was man sagen wird, wenn du tot bist?
Sie war ein verrücktes Mädchen vom Lande.
Mehr nicht. Das ist auch schon alles. Und irgendein anderer Schurke wird Gitus Platz in Angen einnehmen und zehnmal schlimmer herrschen als er, bis andere Attentäter anfangen, sich Gedanken zu machen. Nichts wird besser werden. Höchstens noch schlimmer.«
    Sie wurde blaß. Sie hört mir zu, dachte er. Zum erstenmal verstand sie überhaupt, was er sagte.
    Doch dann sagte sie: »Nein«, und schüttelte heftig den Kopf.
    »Denk drüber nach. Du wirst einen Mann unschädlich machen. Das ist alles. Vielleicht ein paar Leibwachen. Das lohnt sich nicht. Dadurch ändert sich nichts. Beherzige meinen Rat. Werde ein Gerücht. Gerüchte lassen sich schwerer umbringen.«
    Erneutes heftiges Kopfschütteln. Sie schaute ihre Hände an und sah dann zu ihm auf, ein Auge von einer schmutzigen Haarsträhne verdeckt. »Ich bin nicht wie Ihr.«
    »Du kannst das gleiche

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