Der Palast
Lauscher in der Nähe aufhalten. Dann sagte er in leisem, vertraulichem Tonfall: »Ich habe gehört, dass die Polizei sehr brutal mit verhafteten Anhängern der Schwarzen Lotosblüte verfährt. Hoshina -san hat eine eigene geheime Zelle, wo er und seine Männer die Sektenanhänger foltern, damit diese über andere Sektenmitglieder aussagen. Hoshinas Leute lassen den Gefangenen sogar flüssiges Kupfer in die Augen tropfen! Schließlich reden sie alle.«
Diese Nachricht beunruhigte Sano. Auch wenn er die Schwarze Lotosblüte hasste, lehnte er Folter ab – und dies war ein Grund mehr, Hoshina zu hassen, den zu retten er sich gezwungen sah. Er konnte Narayas Worte nicht als bloßes Gerücht abtun. Die Polizei hatte vor kurzem zahlreiche Anhänger der Schwarzen Lotosblüte verhaftet. Wenn diese Verhaftungen die Folge eines persönlichen Feldzugs Hoshinas waren, war der Polizeikommandeur für Hinrichtungen verantwortlich, die die Schwarze Lotosblüte als Mord ansehen würde.
»Die Schwarze Lotosblüte hat ebenso einen Grund, Rache an Hoshina -san zu üben, wie ich«, behauptete Naraya. »Zudem gibt es viele Verrückte unter ihnen – Fanatiker, die sogar einen Tokugawa-Pilgerzug niedermetzeln und die Mutter des Shōgun entführen würden, wenn ihre Priester es ihnen befehlen.« Naraya sprach genau das aus, was Sano anfänglich veranlasst hatte, die Sekte der Schwarzen Lotosblüte zu verdächtigen.
Doch Sano war vorsichtig, auf seine ursprüngliche Theorie zurückzugreifen. Natürlich würde die Schwarze Lotosblüte Hoshinas Tod bejubeln – aber wieso hatte sie ihn dann nicht selbst ermordet, wie unzählige andere Feinde? Wieso sollten sie einen solch langen und gefährlichen Umweg einschlagen und eine groß angelegte Entführungsaktion starten? Außerdem würde Hoshinas Tod der Verfolgung der Sekte durch den bakufu kein Ende setzen. Hinzu kam, dass das Verbrechen nicht zur gewohnten Vorgehensweise der Schwarzen Lotosblüte passte. Überdies zeugte der Erpressungsbrief von einem persönlichen Rachefeldzug gegen Hoshina und nicht von einem Glaubensstreit. Und schließlich hörte das Gedicht sich nicht nach den Schriften der Schwarzen Lotosblüte an, die von alten buddhistischen Texten abgeleitet waren und nicht von der Sage des Drachenkönigs.
Darüber hinaus ließ ein guter Ermittler sich in seinem Urteil nicht von einem Verdächtigen beeinflussen, und Naraya war und blieb verdächtig. »Nach dem Tod Eurer Tochter habt Ihr Hoshina -san gedroht, er werde für ihren Tod büßen«, erinnerte Sano den Händler.
Naraya verzog verärgert das Gesicht. »Hat er das gesagt? Vermutlich ist er so verzweifelt, dass er alles behaupten würde, was ihm helfen könnte. Oder der Tod meiner Tochter hat ihm so wenig bedeutet, dass er vergessen hat, was zwischen uns gesagt wurde. Aber meine Erinnerung ist so deutlich, als wäre alles erst gestern geschehen. Damals habe ich zu Hoshina -san gesagt: ›Eines Tages werdet Ihr leiden für das, was Ihr meiner Tochter angetan habt. Ihr könnt dem schlechten Karma, das Ihr geschaffen habt, nicht entkommen. Eines Tages wird das Rad des Schicksals, das meine Tochter vernichtet hat, auch Euch vernichten.‹« In Narayas Stimme lag wilde Freude, als er hinzufügte: »Und es sieht so aus, als würde meine Vorhersage sich bewahrheiten.«
Weitere Befragungen des Fabrikbesitzers erwiesen sich als fruchtlos, weil Naraya lediglich seine Unschuldsbeteuerungen wiederholte. Schließlich verließ Sano mit seinen Ermittlern das Fabrikgebäude und ging zu den Pferden. Das matte Licht der Nachmittagssonne schimmerte auf dem Kanal. Bootsmänner fluchten; ein Bettler humpelte mit einer leeren Schale in der Hand über die schmutzige Straße.
»Beschattet Naraya«, sagte Sano zu zwei Ermittlern. »Folgt ihm überallhin. Vielleicht gibt er sich als Täter zu erkennen und führt uns zu den Frauen.«
»Jawohl, sōsakan-sama «, erwiderten die beiden Ermittler im Chor.
Doch Sano fürchtete, dass Naraya auf der Jagd nach dem Entführer sich als weitere falsche Spur in die falsche Richtung erwies. Umso mehr bedauerte er nun seine Entscheidung, Hoshinas Hinrichtung verhindert und eine Chance, Reiko zu retten, vereitelt zu haben. Sano fragte sich, was Yanagisawa beim Kii-Klan erreicht hatte, und er hoffte auf bessere Ergebnisse als die, die Narayas Verhör gebracht hatten, sonst mussten sie auf ein Wunder hoffen.
Doch als er in den Sattel stieg, kam ihm ein plötzlicher Gedanke, der seine Laune hob.
Es gab noch
Weitere Kostenlose Bücher