Der Partner
hinausspähend.
»Ungefähr eine Woche. Ich wollte nicht, dass irgend etwas von dem Geld in die Staaten zurückkehrte, also veranlasste ich seine Überweisung auf eine Bank in Toronto. Die Bank in Panama war eine Filiale der Bank of Ontario, es war also kein Problem, soviel dorthin zu überweisen, wie ich brauchte.«
»Sie fingen an, es auszugeben?«
»Nicht viel. Ich war jetzt Kanadier, mit guten Papieren, aus Vancouver zugezogen, und das Geld ermöglichte es mir, eine kleine Wohnung zu kaufen und mir Kreditkarten zu besorgen. Ich fand einen Portugiesischlehrer und lernte sechs Stunden täglich die Sprache. Ich flog mehrere Male nach Europa, damit ich Stempel in meinen Pass bekam und er gebraucht erschien. Alles lief bestens. Nach drei Monaten verkaufte ich die Wohnung wieder und flog nach Lissabon, wo ich die Sprache ein paar Monate lang weiterstudierte. Und dann, am 5. August 1992, bin ich nach Säo Paulo geflogen.«
»Gewissermaßen Ihr persönlicher Unabhängigkeitstag.«
»Absolute Freiheit, Karl. Ich landete mit zwei kleinen Koffern in dieser Stadt. Ich stieg in ein Taxi und war bald in einem Meer aus zwanzig Millionen Menschen untergetaucht. Es war dunkel und regnete, der Verkehr stand still, und ich saß im Fond eines Taxis und dachte, dass jetzt niemand auf der Welt wusste, wo ich war. Und dass niemand mich je finden würde. Ich hätte fast geweint, Karl. Es war die totale, grenzenlose Freiheit. Ich schaute in die Gesichter der Leute, die auf den Gehsteigen entlangeilten, und ich dachte, jetzt bin ich einer von ihnen. Ich bin ein Brasilianer namens Danilo, und ich werde nie wieder jemand anders sein.«
NEUNUNDZWANZIG
Sandy schlief drei Stunden auf einer harten Matratze im Loft irgendwo oberhalb des Wohnzimmers, weit weg von ihr, und wachte auf, weil die Morgensonne durch einen Spalt unterhalb der Jalousie hereinschien. Es war halb sieben. Sie hatten sich um drei Uhr getrennt, nachdem sie sieben Stunden lang Dokumente durchgesehen und sich Dutzende der illegal aufgezeichneten Unterhaltungen angehört hatten.
Er duschte und zog sich an, dann ging er hinunter in die Küche, wo Leah ihn bereits mit einem frisch gebrühten Kaffee und einem erstaunlich wachen Gesicht in der Essecke erwartete. Sie versorgte ihn mit Weizentoast und Marmelade, während er die Zeitungen überflog. Sandy wollte möglichst rasch mit dem Arida-Chaos in sein Büro zurückkehren und es in seinen eigenen vier Wänden durcharbeiten.
»Etwas Neues von Ihrem Vater?« fragte er. Die frühmorgendlichen Stimmen waren leise, die Worte karg.
»Nein. Aber ich kann von hier aus nicht anrufen. Ich werde später auf den Markt gehen und ein Münztelefon benutzen.«
»Ich werde ein Gebet für ihn sprechen.«
»Danke.«
Sie packten die gesamte Aricia-Akte in den Kofferraum seines Wagens und verabschiedeten sich voneinander. Sie versprach, ihn innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden anzurufen. Sie würde erst einmal eine Weile hierbleiben. Die Probleme ihres gemeinsamen Mandanten hatten sich in ihrer Wirkung von >bloß ernst< zu >sehr dringlich< gesteigert.
Die Morgenluft war kühl. Schließlich war es Oktober, und sogar die Küste ließ einen ersten Hauch von Herbst verspüren. Sie zog einen Parka an und machte sich zu einem Spaziergang auf. Barfuss, mit der einen Hand in der Tasche und ihrem Kaffee in der anderen Hand, ging sie am Strand entlang. Sie versteckte ihre Augen hinter einer Sonnenbrille, was sie ärgerte. Der Strand war menschenleer.
Weshalb fühlte sie sich gezwungen, überhaupt etwas zu verbergen?
Wie alle Cariocas hatte sie einen großen Teil ihres Lebens am Strand verbracht, dem Mittelpunkt der Kultur ihrer Heimat. Sie war bei ihrem Vaters in Ipanema großgeworden, dem nobelsten von Rios Stadtteilen, wo jedes Kind am Strand aufwuchs.
Sie war es nicht gewohnt, lange Spaziergänge am Wasser zu unternehmen, ohne dabei von vielen Menschen umgeben zu sein, die sich glücklich sonnten und spielten. Ihr Vater war einer der ersten gewesen, der gegen die ungezügelte Ausweitung von Ipanema gekämpft hatte. Das Anwachsen der Einwohnerzahl und die Willkür im Umgang mit Baugenehmigungen waren ihm zutiefst zuwider, und er arbeitete unermüdlich mit den örtlichen Bürgerinitiativen zusammen, um die gröbsten Missstände zu beseitigen. Derartige Aktionen widersprachen eigentlich der typischen Carioca-Einstellung von leben und leben lassen, aber mit der Zeit wurden sie bewundert und sogar allgemein begrüßt. Als Anwältin
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