Der Partner
in eine Concorde umstieg und nach Paris flog. Die Concorde war ein Luxus, aber inzwischen betrachtete sie sich als reiche Frau. Von Paris nach Nizza und von dort in einem Wagen nach Aix-en-Provence, eine Fahrt, die sie und Patrick vor fast einem Jahr gemeinsam unternommen hatten. Seit seiner Ankunft in Brasilien war es das erste Mal, dass er das Land verlassen hatte. Er hatte fürchterliche Angst vor dem Überqueren von Grenzen, selbst mit einem perfekt gefälschten Pass.
Brasilianer lieben alles Französische; praktisch alle Gebildeten dort sprechen französisch und sind mit der französischen Kultur vertraut. Sie hatten eine Suite in der Villa Gallici gemietet, einem schönen, am Stadtrand gelegenen Hotel, und eine Woche damit verbracht, durch die Straßen zu schlendern, einzukaufen, essen zu gehen und gelegentlich Ausflüge in die Dörfer zwischen Aix und Avignon zu unternehmen. Außerdem verbrachten sie sehr viel Zeit in ihrem Zimmer, wie frisch Verheiratete.
Einmal, nach zu viel Wein, nannte Patrick es ihre Flitterwochen.
Sie bekam ein kleineres Zimmer im gleichen Hotel, schlief eine Weile und trank dann im Bademantel Tee auf ihrem Balkon. Später schlüpfte sie in Jeans und unternahm einen Spaziergang in die Stadt, zum Cours Mirabeau, der Hauptstraße von Aix. Sie trank in einem belebten Straßencafe ein Glas Rotwein und beobachtete die flanierenden Studenter und Studentinnen. Sie beneidete die jungen Liebenden, die ziellos Hand in Hand dahinschlenderten und sich um nichts Sorgen zu machen brauchten. Sie und Patrick waren gleichfalls hier lustgewandelt, Arm in Arm, flüsternd und lachend, als ob die Schatten hinter ihm verschwunden wären.
Es war in Aix, in der einzigen Woche, die sie ohne Unterbrechung miteinander verbracht hatten, wo ihr zum ersten Mal bewusst wurde, wie wenig er schlief. Einerlei, wann sie aufwachte, er war bereits wach, lag still und stumm da und schaute sie an, als wäre sie in Gefahr. Eine Stehlampe brannte. Das Zimmer war dunkel, wenn sie einschlief, aber wenn sie aufwachte, brannte immer Licht. Er pflegte das Licht auszuschalten, sie sanft zu streicheln, bis sie einschlief, dann schlief er selbst meist eine halbe Stunde, um danach sofort die Lampe wieder einzuschalten. Er stand immer lange vor Tagesanbruch auf und hatte, wenn sie schließlich auf dem Balkon erschien, bereits die Zeitung und mehrere Kapitel eines Krimis gelesen.
»Nie mehr als zwei Stunden«, hatte er geantwortet, als sie ihn fragte, wie lange er schlafen konnte. Er schlief selten tagsüber und ging nie früh zu Bett.
Er trug keine Waffe bei sich, geschweige denn schaute er sich ständig um. Fremden gegenüber war er nicht übermäßig argwöhnisch. Und er redete nur selten über das Leben auf der Flucht. Von seinen Schlafgewohnheiten abgesehen, wirkte er vollkommen normal, so dass sie oft vergaß, dass er einer der meistgesuchten Männer der Welt war.
Obwohl er es vorzog, nicht über seine Vergangenheit zu sprechen, gab es in ihren Unterhaltungen doch Zeiten, in denen es unvermeidlich wurde. Schließlich hatten sie sich nur aus diesem Grund kennengelernt, weil er geflüchtet war und sich eine neue Identität zugelegt hatte. Sein Lieblingsthema war seine Kindheit in New Orleans; nicht das Erwachsenenleben, vor dem er auf der Flucht war.
Seine Frau erwähnte er fast nie, aber Eva wusste, dass er sie zutiefst verachtete. Seine Ehe war eine einzige Katastrophe gewesen, und als sie für ihn unerträglich geworden war beschloss er, ihr zu entfliehen.
Er hatte versucht, über Ashley Nicole zu reden, aber der Gedanke an das Kind trieb ihm Tränen in die Augen. Seine Stimme versagte, und er sagte, es täte ihm leid. Es sei zu schmerzhaft.
Weil die Vergangenheit ihm gegenüber noch so viele Rechnungen offen hatte, war es sehr schwierig, an die Zukunft zu denken. Pläne zu machen, war unmöglich, solange die Schatten irgendwo im Hintergrund lauerten. Er gestattete sich nicht, über die Zukunft nachzudenken, bevor die Vergangenheit bereinigt war.
Die Schatten hielten ihn wach, das wusste sie. Schatten, die er nicht sehen, Schatten, die nur er fühlen konnte.
Sie hatten sich in ihrem Büro in Rio kennengelernt, zwei Jahre zuvor, wo er sich für einen in Brasilien lebenden kanadischen Geschäftsmann ausgegeben hatte. Er sagte, er brauchte eine gute Anwältin, die ihn bei Fragen des Handels- und Steuerrechts beraten könnte. Er war seiner Rolle entsprechend gekleidet und trug einen eleganten Leinenanzug und ein weißes,
Weitere Kostenlose Bücher