Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
nicht einmal eine annähernd ähnliche Situation erlebt. Und auch wenn er sich über Grubers Kommandoton ärgerte, so war er froh, dass der Deutsche die Führung übernahm.
Drinnen war es ziemlich finster, Licht spendeten nur die Kerzen auf dem Altar. Makaber, sie anzuzünden, dachte Roberto und verspürte eine unerwartet kalte Wut auf den Mörder. Die Baronessa saß auf einer Gebetsbank, die Augen geschlossen, der Mund mit einem großen Pflaster zugeklebt. Gruber schlich zu der schmalen Tür neben dem Altar, die ins Pfarrhaus führte. Fidel hielt seine Schrotflinte senkrecht in die Höhe und wartete neben der Tür, bis Osvaldo sie mit dem schweren eisernen Querriegel verschlossen hatte. Roberto ging durch den Mittelgang und tippte die Baronessa sanft an. Sie öffnete ihre Augen langsam wie eine Schildkröte und lächelte, als sie Roberto erkannte. Er signalisierte ihr, leise zu sein, und zog das Pflaster von den Lippen.
«Er ist runter ins Pfarrhaus und hat so eine Pistole mit einem zusätzlichen Rohr vorne drauf.»
«Ein Schalldämpfer.»
«Ein unangenehmer Mensch, nimm dich in Acht.»
Roberto schnitt die Mullbinden durch, mit denen die Baronessa an die Gebetsbank gefesselt war. «Können Sie gehen, Baronessa?»
«Nur mein Arm ist gebrochen, Roberto. Siehst du das nicht?»
«Dann gehen Sie zu Juan. Falls der schießen muss, ist es besser, hinter ihm zu stehen.»
Die Baronessa warf einen Blick auf dessen abgesägte Schrotflinte. «Eine lupara . Ein schräger Charakter, dieser Bursche. Ich wusste es.» Sie kniff Roberto in die Wange, wie einem kleinen Jungen. «Viel Glück.»
Roberto lächelte, es störte ihn nicht.
«Der Mann nennt sich übrigens Fini.»
Roberto ging hinüber zu Gruber. «Ich gehe vor», sagte er, «ich war schon ein paarmal hier.»
Gruber zögerte und nickte. Roberto konzentrierte sich. Er erinnerte sich an einen schmalen, um vielleicht fünfundvierzig Grad geschwungenen Gang gleich hinter der Tür, der über ein paar Stufen hinunter in die Küche führte. Dort vermutete er Fini. Bestimmt war das nicht sein echter Name. Wahrscheinlich hatte er Hunger. Die Küche war voll funktionsfähig, es gab eine Menge Konserven, eingekochte Tomatensauce und Nudeln.
«Halt dich nicht mit Vorwarnungen auf», flüsterte Gruber. «Schieß sofort, wenn du ihn siehst.»
Roberto nickte, das war logisch, ein Profi wie dieser würde sich zu wehren wissen. Er legte die Hand auf die Tür, atmete noch einmal durch – und schob sie auf. Krrrrk. Sie knarzte wie eine alte Schatztruhe. Erschrocken stolperte Roberto los, die Treppe hinunter. Plopp-plopp. Schüsse aus einer Pistole mit Schalldämpfer. Die Querschläger machten mehr Lärm als die Schüsse selbst. Roberto feuerte zurück, zweimal, dreimal, ohne auf irgendetwas zu zielen, Gruber direkt hinter ihm auch. Sie stürmten in die Küche. Schritte von der Treppe, die hinunter zum Hauseingang führte. Plopp-plopp von unten – und ein Aufschrei hinter Roberto. Gruber hielt sich das Bein. Unten zersplitterte die Tür. Roberto hörte schnelle Schritte draußen auf dem Kies. Er wandte sich Gruber zu.
«Hinterher!», stieß der zwischen seinen zusammengebissenen Zähnen hervor. «Mach schon! Ich komm klar.»
In dem Moment jaulte der Motor des Jeeps auf, und er rollte los. Das flappende Geräusch platter Reifen, das Knirschen blockierender Reifen auf Geröll, dann die Fahrertür, die geöffnet und zugeschlagen wurde. Roberto lief hinaus und schob sich mit wild klopfendem Puls an der Wand des Pfarrhauses entlang. Keine Deckung. Wenn der Mörder oben auf ihn wartete, hatte er keine Chance.
Doch dann sah er ihn die strada bianca hinunterrennen, schnell, trotz seiner geringen Größe und seiner Kompaktheit. Sehr schnell. Roberto setzte nach, mit all seiner Wut, die er über diesen Kerl empfand, doch der Vorsprung wurde größer. Nach hundert Metern kletterte Fini hoch auf die Eselsweide. Ganz sicher würde er versuchen, querfeldein den Gipfel des Monte Dolciano zu erreichen. Dort oben gab es nichts als unberührte Wildnis, Macchia, Wald, riesige Weiden, zerklüftete Felsschluchten und endlose mit Ginster bewachsene Flächen, von dort aus konnte er in jede beliebige Richtung fliehen, und jede weitere Verfolgung war aussichtslos. Außerdem hatte die Dämmerung schon eingesetzt, in spätestens einer Stunde würde es dunkel sein, vollkommen dunkel.
Roberto erreichte die Eselsweide, als Fini auf der anderen Seite in einem Wäldchen aus Krüppeleichen und Hainbuchen
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