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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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die Luft mit dünnen Fingern durchs Fell fährt. Fliegen müsste man ja können, wenn man fliegen könnte, so meinte er immer, könnte man wie die Tauben oben auf den Leitungen sitzen, sich ordentlich festkrallen und auch einfach mal hinunterscheißen auf die Autos, die Tauben dabei mit einem Schwanzwedeln vertreiben und ein paarmal mit den braunbefellten Flügeln flattern und fort wäre man, oder Zielkacken auf Katzen, wie es die Schwalben machen. Die Katzen, die sich vollständig von Menschen durchfüttern lassen konnten, die in den Buchhandlungen der Deribasovskaja wohnten, ihre Körper brauchten so wenig. Die erwachten gemütlich in den Wohnungen, erhoben sich, drehten sich, wenn er schon den zehnten Mülleimer kontrolliert hatte, legten sich wieder hin – welch ein Leben! Aber ihre Ärsche waren saurer als ein Hundehintern, geradezu ekelhaft, und mit ihren Zungen mussten sie sich alle selbst säubern – im Leben ist eben nichts umsonst. Er hatte Angst vor Katzen und hoffte jede Nacht, keiner zu begegnen, denn sie wurden so schnell zornig und in ihrem Zürnen wuchsen sie, bauschten sich auf, verdoppelten sich. Vor einer Katze hatte er noch jedes Mal das Weite gesucht. Das Einzige, wovor er mehr Angst hatte als vor den Katzen, waren Flöhe. Man kann nach ihnen beißen, aber sehen kann man sie nicht. Gerade nachts fallen sie über einen her. Aber wir können eben nicht fliegen, wir sind eben das neue Proletariat. Es soll aber schon Hunde gegeben haben, die fliegen gelernt haben, nicht die fledermäusigen, die sind eher Ratten als ordentliche Köter, sondern in Kapseln hinaus ins All. In jedem Rudel behaupten die Leithunde, sie seien direkte Nachfahren der Laika. So oft können sie und ihre Nachfahren zusammen nicht geworfen haben. Und tun so, als wären sie Aristokraten, er schüttelte sich. Vielleicht war es auch besser, dass er seinem Rudel überflüssig geworden war. Wer brauchte die schon? Er war auch früher alleine klargekommen. Er betrachtete die beiden Männer, den, der ihn zuerst mit etwas Krakauer hergelockt hatte, und den anderen, der stämmiger war als der Erste. Was war nun mit der Wurst? Wo die herkam, war noch mehr. Und wenn die wüssten, wie Wurst gemacht wird, er konnte es ja riechen, dann würden sie sie selbst bestimmt nicht anrühren. Er hätte auch einfach ein anderes Rudel suchen können, sich unterwerfen und anschließen, in der ganzen Stadt hatte er Verwandtschaft. Die war ja überall, die liebe Familie, man entkam ihr nicht. Wäre sein Vater nicht überfahren worden, und würde er noch oben an der großen Treppe thronen, wo der Großfürst arbeitete, sich im roten Umhang mit weißem Pelz fotografieren ließ, dort seine Audienzen hielt, dann hätte er sofort gewusst, wohin gehen. Der Vater würde ja noch leben, er selbst war ja dabei gewesen, wenn nicht die Ampel ausgefallen wäre. Schließlich wussten sie alle schon seit Jahren, welche Lampe leuchten musste. Als der Vater noch lebte, war da auch immer genug zu fressen für alle. Die Mülleimer waren gefüllt und die Menschen freigiebig. Was ist jetzt mit der Wurst? Aber er bemerkte schon, dass er seine Zähne als Nächstes eher in einen Arm als in einen Wurstzipfel bohren würde. Der dünnere Mann, ja, wo war die Wurst?, kam auf ihn zu, strich ihm über den Kopf und Rücken, ja, das war angenehm, aber wo war die Wurst? Und da hatte er ihn schon an der Nackenfalte gepackt, elendes Kindheitsüberbleibsel, er knurrte, dass die Nackenfalte zitterte. »Niemand außer meiner Mutter fasst die Nackenfalte an«, knurrte er. Gleich, gleich würde er zubeißen. Sofort, sobald er die strenge Hand los war. Aber der Mann zog ihn an seinem Genickfell ins Auto, hinten auf die Ladefläche des Lieferwagens, er schnappte nach ihm, schnappte und schnappte, während der Riegel der Tür ebenso zuschnappte. Er hatte den idealen Zeitpunkt verpasst. Er hörte die Autotüren, erst eine, dann eine zweite, er knurrte weiter und er schrie, er kläffte, wie er nur konnte, als der Motor angelassen wurde, denn er hasste Autofahrten. Schon als er das erste Mal in einem Laster mitgefahren war, einem Lebensmitteltransporter, weil er auch dort Wurst gerochen hatte, sie roch so viel stärker, seit es sie nur mehr mit dem Mononatriumglutamat gab, auch wenn er das Mittel als Suchhilfe bezeichnete. Was war ihm übel gewesen, als der elende Laster wieder gehalten hatte, noch bevor er die Wurst gefunden hatte, war ihm so schlecht geworden, dass er sich hinlegen musste und jedes

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