Der Prediger von Fjällbacka
Patriks Ankunft verging nicht mehr als eine Stunde, bevor Annika mit ernstem Gesicht an seine Tür klopfte.
»Patrik, hier ist ein Ehepaar. Sie wollen das Verschwinden ihrer Tochter melden.«
Sie sahen einander an und wußten beide, was der andere dachte.
Annika geleitete die beunruhigten Leute zu ihm hinein, und mit hängenden Schultern nahmen sie vor Patriks Schreibtisch Platz. Sie stellten sich als Bo und Kerstin Möller vor.
»Unsere Tochter Jenny ist gestern abend nicht nach Hause gekommen.«
Der Vater hatte das Wort ergriffen. Er war ein kleiner, untersetzter Mann um die Vierzig. Während er sprach, fummelte er nervös an den grell gemusterten Shorts herum und hielt den Blick starr auf die Schreibtischplatte gerichtet. Die Tatsache, daß sie bei der Polizei saßen und das Verschwinden ihrer Tochter meldeten, schien ihre Panik erst richtig anzuheizen. Ihm stockte die Stimme, und seine Frau, auch sie klein und drall, fuhr fort: »Wir wohnen auf dem Campingplatz in Grebbestad, und Jenny wollte gegen sieben mit ein paar Freunden, die sie dort kennengelernt hatte, nach Fjällbacka fahren. Sie wollten ausgehen, glaube ich, aber sie hat versprochen, um eins wieder zu Hause zu sein. Sie hatten wohl irgendwie organisiert, daß man sie nach Hause mitnimmt, und hin wollten sie mit dem Bus.«
Auch ihre Stimme wurde rauh, und sie mußte eine Pause einlegen, bevor sie weitersprechen konnte: »Als sie nicht nach Hause kam, wurden wir unruhig. Wir weckten eins der anderen Mädels, mit der sie hatte fahren wollen, und sie sagte, daß Jenny nicht, wie verabredet, zur Bushaltestelle gekommen war und daß sie da geglaubt hatten, daß sie nicht mitkommen will. Da wußten wir, daß etwas Ernsthaftes passiert ist. Jenny würde uns so etwas nie antun. Sie ist unser einziges Kind und informiert uns immer, falls sie sich verspätet oder so. Was kann ihr zugestoßen sein? Wir haben ja von diesem Mädchen gehört, das sie in der Königsschlucht gefunden haben, glauben Sie, daß .«
Hier versagte ihr die Stimme, und sie brach in verzweifeltes Schluchzen aus. Ihr Mann legte tröstend die Arme um sie, aber auch in seinen Augen zeigten sich Tränen.
Patrik war beunruhigt. Sehr beunruhigt, aber er bemühte sich, es die Leute nicht merken zu lassen.
»Ich glaube nicht, daß ein Grund besteht, im Augenblick solche Parallelen zu ziehen.«
Verdammt, klinge ich korrekt, dachte er, aber es fiel ihm einfach sehr schwer, mit solchen Situationen umzugehen. Die Angst dieser Leute schnürte auch ihm die Kehle zu, aber er konnte es sich nicht erlauben, dem nachzugeben, so hielt er sich zum Selbstschutz an eine nahezu bürokratische Korrektheit.
»Wir fangen mit ein paar Angaben zu Ihrer Tochter an. Sie heißt Jenny, sagten Sie. Wie alt ist sie?«
»Siebzehn, bald achtzehn.«
Kerstin Möller weinte noch immer, das Gesicht ans Hemd ihres Mannes gedrückt, also mußte der die notwendigen Angaben machen. Als Antwort auf die Frage, ob sie eine neuere Aufnahme von der Tochter hätten, wischte sich Jennys Mutter mit einer Papierserviette das Gesicht trocken und zog ein Schulfoto in Vierfarbendruck aus der Tasche.
Patrik nahm das Foto behutsam entgegen und betrachtete es. Das Mädchen war eine typische Siebzehnjährige, mit etwas zuviel Schminke im Gesicht und einem Anflug von Trotz in den Augen. Er lächelte den Eltern zu und versuchte sich zuversichtlich zu geben.
»Ein hübsches Mädchen, auf das Sie stolz sind, wie ich mir denke.«
Sie nickten beide eifrig, und sogar auf Kerstins Gesicht zeigte sich ein leichtes Lächeln.
»Sie ist ein gutes Mädchen. Aber natürlich haben Teenager so ihren eigenen Kopf. In diesem Jahr wollte sie nicht mit uns in Urlaub fahren, obwohl wir das mit unserem Wohnwagen jedes Jahr tun, schon seit sie klein war. Aber wir haben gebettelt und gesagt, daß es doch vermutlich der letzte Sommer ist, in dem wir so etwas gemeinsam unternehmen könnten, und da hat sie nachgegeben.«
Als Kerstin Möller hörte, was sie da über den letzten Sommer sagte, verlor sie erneut die Beherrschung, und Bo strich ihr beruhigend übers Haar.
»Sie nehmen das hier doch wohl ernst? Man hat ja gehört, daß vierundzwanzig Stunden vergehen müssen, bevor mit der Suche und so begonnen wird, aber Sie müssen uns glauben, wenn wir sagen, daß etwas passiert sein muß, sonst hätte sie sich gemeldet. Sie ist nicht der Typ Mädchen, dem einfach alles egal ist und das sich nicht darum kümmert, wenn wir uns ängstigen.«
Erneut versuchte
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