Der Preis des Schweigens
einen dünnen Streifen um ihn herum abwickelte und dann den Deckel entfernte, um an sein weiches, rosafarbenes, verletzliches Inneres zu kommen.
Aber noch hatte ich nicht wirklich etwas gefunden, was ich gegen ihn verwenden konnte, mir fehlte immer noch ein Druckmittel. Ich weiß nicht, was ich mir von meiner Durchsuchung des Wohnwagens erhofft hatte – dass ich Kinderpornos fand, vielleicht, oder illegale Einwanderer, die er als Sklaven hielt, oder polnische Prostituierte in Handschellen, oder ein Labor für Crystal Meth. Ich hatte zwar Drogen gefunden, aber nichts, was die Staatsanwaltschaft für strafrechtlich relevant erachten würde.
Die roten Pillen, die ich in die Hosentasche gesteckt hatte, waren dennoch sehr aufschlussreich. Rohypnol, auch Roofies genannt. Löst man sie in einem alkoholischen Getränk auf, sind sie völlig geruchs- und geschmacksneutral. Sie sind problemlos im Internet zu bestellen und führen nach der Einnahme schnell zu Bewusstlosigkeit oder zumindest eingeschränkter Wahrnehmungsfähigkeit. Am nächsten Tag hat man Gedächtnislücken. Die perfekte Date-Rape-Droge.
Date Rape: Das erste Wort ist harmlos und voller Verheißungen, das zweite bedeutet Vergewaltigung. Zusammengefügt erhält man »nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr, bei dem weder eine ausdrückliche Verweigerung noch Gewaltanwendung vorliegen«. Aber Date Rape klingt natürlich viel medienwirksamer.
Immer wieder kam mir der Moment in den Sinn, als ich am Morgen nach meiner Nacht mit Justin im Badezimmer gestanden und zu ermitteln versucht hatte, was das Letzte war, an das ich mich erinnern konnte. Aber alles, was ich hatte heraufbeschwören können, waren verschwommene Bilder und die Erinnerung an die Gläser Wein, die Justin mir vor dem Kamin eingeschenkt hatte.
In der Rohypnol-Schachtel in seinem Wohnwagen hatten sechs rote Pillen gefehlt, und im Badezimmerschrank waren zwölf abgepackte Kondome gewesen.
Ich war immer davon ausgegangen, dass ich ein Einzelopfer war und dass Justin mich gezielt ins Visier genommen hatte, vielleicht, weil er die Gelegenheit als günstig erachtet hatte. Aber der große Vorrat an roten Pillen und Kondomen, den ich entdeckt hatte, sprach eine andere Sprache.
Auf den Notizzetteln, die ich im Wohnwagen gefunden hatte, hatten mehrere Frauennamen gestanden, und in den Hotelführern war mehr als nur ein Hotel markiert gewesen.
Ich fragte mich nicht zum ersten Mal, was wohl damals mit Suzy, der Pfarrerstochter, passiert war. War sie das Mädchen auf den Fotos, die ich gefunden hatte, das Mädchen mit dem Kruzifix? Steckte hinter der Geschichte nur eine ungewollte Schwangerschaft samt damit einhergehendem Skandal, wie Gwen angedeutet hatte? Oder etwas Schlimmeres? Auf dem Foto, das ich eingesteckt hatte, war das dunkelhaarige Mädchen neben Justin zu sehen. Es war mit Justin befreundet gewesen, und irgendetwas in seinem Leben war daraufhin furchtbar schiefgelaufen. Bei alldem hatte sicher auch Sex eine Rolle gespielt – war das nicht immer so?
Sobald das Meeting vorbei war, schlüpfte ich nach unten ins Kripo-Büro, während die anderen zum Mittagessen gingen. Bodies Computer war wie immer frei zugänglich. Ohne langes Nachdenken gab ich Susan Miller in die Suchmaske ein, und dann Suzy Miller. Kein Ergebnis. Das überraschte mich nicht sonderlich. Wenn damals etwas passiert wäre, wovon die Polizei Kenntnis gehabt hätte, wäre es Gwen und der putzenden Bekannten ihrer Schwester sicher zu Ohren gekommen. Außerdem war das Ganze zehn Jahre her. Selbst wenn es damals eine Anzeige gegeben hatte, hatte der Vorfall vielleicht nie Eingang in die NOMAD -Datenbank gefunden, weil man die Angelegenheit einvernehmlich unter sich geklärt hatte.
Widerstrebend ging ich in die Kantine, um mir einen Kaffee zu holen. Ich war mir sicher, dass Suzy Miller eine Menge über Justin wusste, aber ich hatte keine Ahnung, wie ich sie finden sollte. Also musste ich jemanden fragen, der schlauer war als NOMAD und dessen Erinnerungen weiter zurückreichten. Mir kam sofort Police Constable Dick Thomas aus Swansea in den Sinn.
Dick war einer meiner Lieblingspolizisten und trotz seines fortgeschrittenen Alters immer noch Police Constable. Er war eines der immer seltener werdenden Urgesteine der Polizei, ein Mann, der sich mit Wehmut an die gute alte Zeit erinnerte und seinem Ruhestand mit Ungeduld entgegenblickte. Im Laufe der Jahrzehnte hatte er mehr Wissen und Erfahrung angesammelt als alle höherrangigen Beamten
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