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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverley Jones
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nie laut herumgebrüllt oder waren ausfallend geworden, hatten höchstens ein wenig die Stimmen erhoben und uns gegenseitig angebliche Verstöße an den Kopf geworfen, bevor Dan wie immer auf stur geschaltet und mich mit Schweigen gestraft hatte. Für mich hatten sich unsere Anklagen und kleinlichen Vorwürfe wie ausgedörrte Trockengebiete angefühlt, die sich zu einer undurchdringlichen Wüste zwischen uns zusammenfügten.
    Wie oft hatte ich dagelegen und mir gewünscht, Dan anschreien und die Sache in aller Ausführlichkeit mit ihm ausdiskutieren zu können, aber ich hatte geschwiegen, weil mir meine Verwirrung und meine Tränen die Luft raubten, weil ich die abweisende, gekränkte Wut der dunklen Gestalt, die neben mir im Ehebett lag, überdeutlich spürte. Während Dan irgendwann eingeschlafen war, hatte ich wach gelegen und unseren jeweiligen Streit in Gedanken noch einmal durchgespielt, in der Hoffnung, eine einvernehmliche Lösung zu finden. Ratlos und abwartend hatte ich seinen Atemzügen gelauscht und mich gefragt: Wie kannst du jetzt schlafen, wo unsere gemeinsame Welt zusammenbricht?
    Aber bis zum nächsten Morgen hatten wir stets wieder zueinandergefunden, als würde ein Gezeitenstrom dafür sorgen, dass wir nie zu lange auseinandertrieben. Oder lag es daran, dass ich immer die Erste war, die einlenkte, die die Hand ausstreckte und ihn umarmte?
    Nach unserem heftigen Streit, der auf den Anruf von Sophie gefolgt war, war das zum ersten Mal anders gewesen. Ich war ins Watch-House geflohen und hatte meinen Kummer am Abend in Wein ertränkt. Es war der letzte Abend meines alten Lebens gewesen, meines Lebens vor Justin.
    Damals hatte ich mich in dem Schutzpanzer sicher gefühlt, den mir meine Opferrolle bot. Endlich einmal besaß ich die Gewissheit, dass ich nicht im Unrecht war, dass ich nicht überreagiert hatte. Es war eindeutig Dan, der das alles zu verantworten hatte. Dan und Sophie. Diese Gewissheit ermöglichte es mir, ganz neu in die Zukunft zu blicken, darüber nachzudenken, was sich in meinem Leben ändern sollte. Ich musste mir endlich darüber klar werden, was ich für Dan empfand, musste eine bewusste Entscheidung treffen, statt weiterhin eine über die Jahre geschaffene Illusion von Liebe zu leben.
    Während ich mich unter den Dachgiebeln des Watch-House hin und her gewälzt hatte, hatte ich mich an jenen sonnigen, seltsam überirdischen Moment am Strand von Cape Cod zurückerinnert, in dem mir scheinbar alle Möglichkeiten offengestanden hatten. Die Erinnerung war wie ein heller, tröstender Lichtstrahl gewesen, der mir klarmachte, dass es nicht so bleiben musste, wie es jetzt war. Die Welt steckte voller aufregender Möglichkeiten.
    Und dann hatte Justin vor mir gestanden, gut aussehend und belesen, genauso verrückt nach Romanen und Lyrik wie ich. Er hatte meine Vorliebe für Indie-Rock geteilt, kannte Robert Frost. »›Der unbegangene Weg‹ ist mein Lieblingsgedicht«, hatte er gesagt und damit in mir den Wunsch ausgelöst, ebenfalls einen unbegangenen Weg einzuschlagen.
    Erst jetzt erkannte ich, dass das, was Justin in seinen Opfern suchte, mir an jenem Abend im Schmugglernest überdeutlich im Gesicht gestanden haben musste, unübersehbar in meine Haut tätowiert. Rette mich, entdecke mich, befreie mich! , hatte mein verräterisches Herz geklopft, laut genug, dass es in der ganzen Bar und im ganzen Hotel und im ganzen Dorf zu hören gewesen war. Attraktive Achtundzwanzigjährige, verunsichert und unbefriedigt, sucht Freiwilligen, der sie mit Wein abfüllt und aus der Realität entführt – Bewerbungen willkommen.
    Wenn ich nur einen Mann für eine Nacht in ihm gesehen hätte, wäre es weniger demütigend gewesen, aber Hoffnung, die törichte Hoffnung, dass aus uns mehr werden könnte …
    Rückblickend wirkte Justins Vorgehen lächerlich offensichtlich und durchschaubar. Er hatte sich an jenem Abend mit seinem Buch auf die Lauer gelegt und nach einem Zielobjekt Ausschau gehalten. Sein Blick muss sofort auf mich gefallen sein, die einzige Frau, die allein unter lauter verliebten Paaren in der Hotelbar saß und sich mit einem Buch vor dieser Zurschaustellung von Zweisamkeit abschirmte.
    Meine verstohlenen Blicke in seine Richtung waren ihm sicher nicht entgangen. Als er mir zugelächelt hatte, war ich errötet und hatte ihm damit zu verstehen gegeben, dass ich reif war, reif, gepflückt zu werden. Jetzt musste er nur noch den richtigen Moment abwarten.
    Am nächsten Abend hatte er einfach

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