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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverley Jones
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Romanze ist hell und strahlend und bonbonbunt, während eine echte Liebe auch Gefühle beinhaltet, die in einer Romanze nicht vorkommen: Eifersucht und Wut, Frust und Reue. Diese Gefühle sind zwar unschön, aber wenigstens echt. Sie sind greifbar, man kann sie an sich pressen und ihren Geruch nach Feuer und Nacht einatmen.
    Romanzen hingegen verflüchtigen sich, bevor man sie festhalten kann, und lassen nur einen zuckersüßen, klebrigen Nachgeschmack zurück, der bald ganz verschwunden ist.
    Immer wenn ich in meiner Beziehung mit Dan meine eigenen Bedürfnisse hintangestellt hatte, wenn ich mich mit seinem Musikgeschmack und seinen bevorzugten Reisezielen abgefunden hatte, weil das einfacher war, als zu diskutieren, war ich den echten, wahrhaftigen Momenten unserer Liebe aus dem Weg gegangen. Auch in ihrer angenehmen Form hatte ich sie nicht zu schätzen gewusst, zum Beispiel wenn Dan mir einfach so eine Tasse Tee gebracht oder die Stelle an meinem Rücken gestreichelt hatte, an der ich kitzlig bin.
    Justin war mir als die perfekte Möglichkeit erschienen, mich in einen Traum zu flüchten, eine Fantasie. Stattdessen hatte sich die Begegnung mit ihm als Zeitbombe erwiesen, die jederzeit hochgehen und einen demütigenden Schwall blassrosa Unterwäsche, wogendes Fleisch und wollüstiges Stöhnen ins Internet entlassen konnte. Ich war mir sicher, dass ich nicht Justins einziges Opfer war. Wie viele andere Frauen waren ihm schon in die Falle getappt oder würden ihm noch in die Falle gehen? Wie viele Beziehungen, Karrieren, Leben hatte er schon mit seiner Grausamkeit und seinen Forderungen zerstört?
    Suzy Milland hatte die Demütigung nicht ertragen. Sie hatte sich lieber von einer Brücke gestürzt, als sich mit den Konsequenzen, der Unsicherheit, der Schande auseinanderzusetzen.
    Als ich in diesem Moment allein in meinem Bett lag, verstand ich sie, verstand, dass der Tod ihr endlich Klarheit gebracht hatte, sie von ihrer Grübelei, ihren Zweifeln, den vielen Fragezeichen erlöst hatte. Ich sah die Fotos von Suzy vor mir und spürte, wie sich ihr Blick in mich hineinbohrte. In diesem Blick schien eine Frage zu brennen, dieselbe Frage, die ich mir schon seit Wochen stellte. Wie weit bist du bereit zu gehen, damit das alles endlich ein Ende hat?
    »Es tut mir so leid, Dan«, murmelte ich tonlos im Dunkeln, während sich unter meinen geschlossenen Lidern heiße Tränen sammelten. Der einzige Ort, an dem ich mich jemals wirklich sicher gefühlt hatte – sicher und geborgen –, war in Dans Armen, vor allem wenn wir nachts aneinandergeschmiegt im Bett lagen und das dunkle Schlafzimmer mit unseren Atemzügen aufwärmten. Dann konnte die bedrohliche Finsternis um mich herumtoben wie ein Jahrhundertsturm, ohne mir etwas anhaben zu können, weil Dan bei mir war.
    Wenn Dan die Sache mit Justin herausfindet, ist es damit vorbei , dachte ich voller Panik.
    Ich musste endlich etwas unternehmen. Aber was? Wie konnte ich das, was Dan und ich miteinander hatten, was wir gemeinsam darstellten, bewahren? Es konservieren – unverändert, unbefleckt, unverdorben? Damit er mich niemals mit Enttäuschung im Blick ansehen musste?
    Ein Gedanke, der schon seit Wochen am Rand meines Bewusstseins geflimmert hatte, konkretisierte sich. Ich hätte nie geglaubt, dass ich diesen Schritt einmal gehen würde, aber wir haben alle unsere Stärken und Schwächen. Irgendwann kommen wir an unsere Grenzen und müssen uns geschlagen geben.
    Am nächsten Morgen erwachte ich früh und starrte an die Decke, bis das erste graue Licht ins Zimmer schien. Mein Körper fühlte sich schwer und taub an, genau wie mein Kopf. Um halb acht schlich ich auf Zehenspitzen am Gästezimmer vorbei, aus dem leises Schnarchen zu hören war, und zog mir im Hausflur die Turnschuhe an. Zehn Minuten später joggte ich durch den Park. Es wurde gerade erst hell. Ein oder zwei Hundebesitzer huschten vorbei, dick eingemummt gegen die Märzkälte und die zentimeterdicke, wie Zuckerguss aussehende Raureifschicht, die alles bedeckte.
    In meinem Kopf war kein Platz für logische oder strategische Gedanken. Ich trabte im heller werdenden Licht der aufgehenden Sonne dahin, an Enten vorbei, die ihre Köpfe in die Federn steckten, an Vögeln, die auf dem hart gefrorenen Boden herumpickten. Um mich herum erwachte langsam der Stadtverkehr. In Gedanken wiederholte ich wie ein Mantra zwei Wörter: Ruhe und Klarheit, Ruhe und Klarheit. Sonst dachte ich nichts. Die Luft war wunderbar still, und die

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