Der Preis des Schweigens
Organisator tätig war. Er zeigte gerne, was er besaß, und schmeichelte Alice, machte ihr Versprechungen. Sie brauchte drei Tage, um sich in Tom zu verlieben, drei Monate, um zu bemerken, dass das vermutlich ein Fehler gewesen war, und den Rest ihres kurzen Lebens, um zu versuchen, ihn wieder auszubügeln.
Dans frühe Kindheit war wie die Flugbahn eines Bumerangs verlaufen, weil sie immer wieder versucht hatte, seinen Vater zu verlassen, und mitten in der Nacht die Koffer gepackt hatte, um mit dem Taxi in ein billiges Hotel zu fahren. Auf diese Fluchtversuche folgten meist Gebrüll und zerbrochene Möbel und manchmal das beruhigende Eingreifen von Toms älteren Brüdern Karol oder Josef, woraufhin Alice immer wieder unter Tränen zu Tom zurückkehrte.
Als Dan zehn Jahre alt war, starb seine Mutter bei einem Autounfall. Zumindest dieser Teil seiner offiziellen Lebensgeschichte entsprach der Wahrheit. Allerdings war sie nicht mit seinem Vater verheiratet gewesen, sondern nur seine Geliebte. Dan erfuhr früh, dass sein Vater eine offizielle Frau und eine Tochter in Bethnal Green hatte, und eine weitere Geliebte in Odessa.
Die Eltern von Dans Mutter lebten zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, daher war seine nächste Verwandte mütterlicherseits die Tante seiner Mutter, die nach alter Familientradition Alice hieß und als Witwe in Bristol wohnte. Sie hatte ihrer Nichte und deren Sohn schon in der Vergangenheit Unterschlupf gewährt, wenn sie wieder einmal auf der Flucht vor Tom gewesen waren, und sie wurde auch jetzt ihrer Verantwortung gerecht und nahm Dan auf und kümmerte sich um ihn.
Dans Vater besuchte ihn nur alle paar Monate, immer dann, wenn er sich gerade an ihn erinnerte. Manchmal nahm er Dan auch mit nach London, damit seine Onkel ihn sehen konnten, aber gegen Ende hatte er die Angewohnheit, zu den unpassendsten Zeiten vor der Tür zu stehen, betrunken, trotzig und voll unterdrückter Aggression und Selbstmitleid. Er wusste, dass er langsam dahinsiechte, dass er aufgefressen wurde von der Wucherung in seinem Darm, durch die er zum Zeitpunkt seines Todes nur noch fünfzig Kilo wog.
Als er schließlich seinem Leiden erlag, bat der inzwischen fünfzehnjährige Dan seine Großtante, ihn offiziell zu adoptieren. Sie hatte längst Muttergefühle für ihn entwickelt und kam seinem Wunsch mit Freuden nach. Großtante Alice war ganz und gar keine Lady Bracknell und auch nicht besonders wohlhabend. Sie hinterließ Dan nach ihrem Tod kein schickes Stadthaus, wie er immer behauptet hatte. Aber Onkel Karol, der immer schon eine Schwäche für Dan und wenig Verständnis für seinen sprunghaften Bruder gehabt hatte, wollte sich nun wenigstens um seinen inoffiziellen Neffen kümmern. Er bezahlte Dans Unterhalt, solange die Großtante noch lebte, und legte einen Treuhandfonds für Dan an, der ihm mit achtzehn Jahren ausbezahlt wurde und genug Geld für sein Studium und eine Wohnung enthielt.
Auf Dans entschiedene Bitte hin half er seinem Neffen auch auf anderem Wege. Es ist nicht so schwierig, wie man meinen könnte, ein offizielles Dokument wie etwa eine Geburtsurkunde zu fälschen und die Namen der eigenen Eltern aus dem Stammbaum zu tilgen. Wenn man die richtigen Leute kennt, lässt sich so etwas problemlos arrangieren. Und mit dieser Geburtsurkunde kann man dann einen Pass beantragen. Sobald man dieses offiziellste aller Ausweisdokumente in den Händen hält, ist man ein neuer Mensch. Allerdings sollte man dafür sorgen, dass man, wenn man Jahre später heiraten will und auf dem Standesamt sitzt, nicht vergisst, wie der angebliche Mädchenname der eigenen Mutter lautet.
Im Prinzip hatte Dan also Urkundenfälschung begangen, aber mit diesem verhältnismäßig kleinen Gesetzesverstoß befreite er sich von seinem argwohnerregenden familiären Hintergrund, ließ all jene hinter sich, die sich noch an die unglückliche Verbindung zwischen Tomasz Petrovic und Alice Lancaster erinnerten. In sicherer Entfernung von London, jenseits der Severn-Brücke, die England mit Wales verbindet, studierte er und wurde schließlich zur Polizeiausbildung angenommen, nachdem eine gründliche Sicherheitsüberprüfung von Daniel Collins, Sohn von Alice und John Collins, nichts Besorgniserregendes zutage befördert hatte.
All dies ist nichts, was man seiner neunzehnjährigen Freundin erklären will, zumal, wenn man sie gerade erst kennengelernt hat und noch nicht weiß, ob man ihr vertrauen kann. Und wenn man sie nach einer Weile besser
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