Der Preis des Schweigens
so meinte. Aber Täuschung und Betrug sind die Vergehen, über die man am schwersten hinwegkommt. Wenn man weiß, dass man von jemandem belogen wurde, kann man zu dieser Person keine Nähe mehr empfinden, weil sich ihre Lügen in jedes Gespräch schleichen, in jede Liebkosung, bis die Fragen immer mehr werden, statt weniger. Ich hatte immer noch so viele unbeantwortete Fragen. Einige davon musste ich mir selbst stellen, nicht Dan. Allerdings wusste ich nicht, ob ich für die Antworten schon bereit war. Also aßen wir erst einmal.
Als wir beim Hauptgang angekommen waren, schwoll das Gemurmel der anderen Restaurantgäste, die inzwischen bei der zweiten oder dritten Flasche überteuerten Weins angekommen waren, zu einer blechernen, überwältigenden Geräuschkulisse an. Ich stocherte in meinem Seehecht mit Kräuterkruste und Gurkencoulis herum und wünschte mir, er wäre statt mit drei winzigen Frühkartoffeln mit einer ordentlichen Portion Pommes frites serviert worden. Plötzlich war mir nach einem großen Jack Daniel’s mit Cola und Eis, aber es kam mir ungehobelt vor, zum Hauptgang ein solches Getränk zu bestellen. Also stürzte ich hastig noch mehr Wein hinunter.
Dan erzählte aufgeregt von einem bevorstehenden Einsatz, bei dem zwei wesentliche Drogendealer dingfest gemacht werden sollten, was natürlich strengster Geheimhaltung unterliege. Als ob mir das nicht klar gewesen wäre! Ich täuschte Interesse vor und tat so, als würde ich das Essen genießen, schließlich kostete der Abend Dan eine Stange Geld. Er hatte mir schon immer Dienstgeheimnisse anvertraut, weil er wusste, dass ich verschwiegen war und dichthalten würde. Ein Geheimnis, das man für sich behält, verleiht Macht, das hatte ich durch meine Arbeit zutiefst verinnerlicht. Auch privat klatschte und tratschte ich nicht – Wörter, die man ausschließlich auf Frauen anwendet, was nur bedeuten kann, dass man sie in puncto Geheimhaltung für unzuverlässig hält.
Ich war anders. Ich war verschlossen und schweigsam wie ein Grab, ein Stein am Grunde eines Sees. Normalerweise fühlte ich mich geschmeichelt, wenn Dan mir Dienstgeheimnisse anvertraute, aber an diesem Abend kamen sie mir leer und bedeutungslos vor. Ich hatte es als selbstverständlich betrachtet, dass seine Wahrheitsliebe für alle Bereiche seines Lebens galt, aber er hatte mich angelogen, was die Existenz dieser Sophie betraf, hatte nicht wie sonst das Verlangen verspürt, mir alles zu erzählen.
Teilweise verstand ich sogar, warum. Er hatte es nicht für nötig erachtet, alles unnötig kompliziert zu machen wegen einer flüchtigen, einmaligen Geschichte. Aber dass es ihm so leichtgefallen zu sein schien, mich im Unklaren zu lassen, wurmte mich. Dan, der sonst wie ein offenes Buch für mich war und sich mir vorbehaltlos anvertraute, als wäre ich die Moderatorin eines lokalen Radiosenders, hatte es tatsächlich geschafft, ein Geheimnis vor mir zu haben. Wie konnte er jetzt einfach so behaupten, dass es keine Geheimnisse mehr zwischen uns geben würde? Woher sollte ich wissen, dass das stimmte? Ich hatte mich schon einmal in ihm getäuscht.
Während ich mich weiter durch den Hauptgang quälte, machten sich meine Gedanken selbstständig und durchstöberten wie verrückt unsere gemeinsame Vergangenheit. Die vielen langen Nächte, in denen er Spätdienst gehabt hatte, verwandelten sich in Tändeleien mit stark geschminkten Huren auf den schweißverkrusteten Rücksitzen kleiner Fiat Pandas, in unkluge Wetten, die er beim Buchmacher auf angeblich sichere Sieger abschloss, in undurchsichtige Geschäfte mit Kreditwucherern, in uneheliche, dunkelhäutige Babys, die mit ihren Müttern, die Chantelle oder Kylie hießen, in Sozialwohnungen hausten, in andere Ehefrauen, andere Namen, ein anderes Leben, geschickte Täuschungen, bei denen ich jedes Mal die ahnungslose Verliererin war. Wie sollte ich mit so etwas leben?
Der enge Zeitrahmen, den uns die bevorstehende Hochzeit auferlegte, machte alles nur noch schlimmer. Ein Teil des Problems bestand darin, dass ich schon vor Sophies Anruf keine glückliche zukünftige Braut gewesen war. Seit wir uns auf ein festes Datum geeinigt hatten, fühlte ich mich wie eine Frau, die nur spielt, dass sie heiraten wird und ihre Hochzeit plant. Auch Dan musste mein Widerstreben gespürt haben.
Ist es nicht der Traum jeder Frau zu heiraten? Träumen nicht alle Frauen von einer Hochzeit in Weiß? Alle meine Kolleginnen und Freundinnen hatten klare Vorstellungen
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