Der Preis des Schweigens
davon, wie ihr »großer Tag« aussehen sollte, und das anscheinend schon, seit sie groß genug waren, um mit rosa gekleideten Barbiepuppen zu spielen.
Als Dan um meine Hand angehalten hatte, war ich eher verdutzt gewesen als entzückt. Warum heiraten?, hatte ich gedacht. Wir waren seit acht Jahren zusammen und wohnten seit fünf unter einem Dach. Was für einen Unterschied machte da ein Stück Papier, außer dass es mir jede Fluchtmöglichkeit raubte? Wenn ich ehrlich bin, weiß ich immer gerne, wo die Notausgänge sind. Ich bin ein Mensch, der in jedem Hotel gleich nach dem Auspacken die Fluchtwege für den Brandfall lokalisiert. Man kann schließlich nie wissen, wann es brenzlig wird und man fliehen muss.
Natürlich hatte Dan die Sache mit seinem unromantischen Antrag auch nicht besser gemacht. Er hatte mich gefragt, als wir nach einem Abend im Pub zusammen auf dem Heimweg gewesen waren. Nicht einmal Ringe hatte er besorgt, und er schien auch sonst keine Anstrengungen unternommen zu haben, den Antrag zu einem besonderen Ereignis zu machen. Fand er etwa, dass ich die Mühe nicht wert war? Aber ich liebte ihn, und eine gute Ausrede hatte ich auch nicht. Also sagte ich am nächsten Tag Ja.
Die Reaktion meiner Mitmenschen auf die simple Mitteilung, dass wir heiraten würden, überraschte mich. Erst sie bauschten die Sache ins Unermessliche auf. Jede Freundin und jede Kollegin, der ich davon erzählte, reagierte mit an Hysterie grenzender Begeisterung.
»Oooooh, wie schön!«, kreischten sie. »Herzlichen Glückwunsch! Ich wette, du flippst aus vor Freude!« Sie benahmen sich, als hätte ich gerade den Nobelpreis für Literatur verliehen bekommen oder – was besser in die Gedankenwelt dieser Frauen passte – das X Factor -Finale gewonnen. Die euphorischen Reaktionen schwollen zu einem tosenden Sturzbach an: »Wie wunderbar! Fantastisch! Genial! Der absolute Wahnsinn!«
Ich glaube, in die Freude meiner Freundinnen und Bekannten mischte sich auch ein Schuss Erleichterung. Ich blieb zwar dieselbe kompetente, sachliche Jen, aber jetzt hatte auch ich etwas, was mir zuvor gefehlt hatte – Glamour und Weiblichkeit und eine gewisse Oberflächlichkeit. Damit konnten sie etwas anfangen.
Was machte es da noch, dass ich weder Seifenopern noch Reality-TV guckte, dass ich mir lieber jedes Haar einzeln ausgerissen hätte, als mir den Sex and the City -Film im Kino anzusehen, dass ich kein Bräunungsspray benutzte und nie zur Pediküre ging? Jetzt wussten sie, dass hinter diesem seltsamen Verhalten doch irgendwo ein Mädchen schlummerte.
»Los, erzähl«, forderten sie mich auf und scharten sich mit beängstigend schrillem Gekicher um mich. »Kirchlich oder standesamtlich? Weißes Kleid oder elfenbeinfarbenes? Menü oder Buffet? DJ oder Band? Brautjungfern? Blumenkinder? Trauzeugen? Obstkuchen oder Schokoladentorte, oder gar keine Torte und stattdessen viele kleine, zu einer schwindelerregend hohen Pyramide aufgetürmte Törtchen?«
Valium oder Lobotomie?, fragte eine genervte Stimme in meinem Kopf zurück. Dass mich meine Freundinnen mit Multiple-Choice-Fragen bombardieren würden, sobald sie von der bevorstehenden Hochzeit erfuhren, hatte ich nicht vorhergesehen. Mir war nicht klar gewesen, dass man erst eine Prüfung ablegen musste, bevor man heiraten durfte, sonst hätte ich mich, akribisch, wie ich war, darauf vorbereitet.
Jedes Mal wenn ich in einer Hochzeitszeitschrift die Worte »der schönste Tag in Ihrem Leben« las – stets kursiv geschrieben, manchmal sogar mit Ausrufezeichen –, erwachte Panik in mir. Natürlich wollte auch ich eine hübsche Braut sein und ein stilvolles Kleid tragen. Ich interessierte mich durchaus für Mode und trug auch hin und wieder Make-up und hohe Absätze, aber das änderte nichts an meiner Meinung, dass weniger manchmal mehr ist. Also verzichtete ich weiterhin auf kosmetische Gesichtsbehandlungen und weigerte mich, mein Haus mit Kerzen und Kissen zu dekorieren. Das Gen, das bei anderen Frauen dafür sorgte, dass sie eine zweistündige Diskussion über Farbgestaltung und Kissenbezüge nicht nur für unterhaltsam, sondern sogar für lebensnotwendig erachteten, fehlte mir offenbar.
Dennoch verschickten wir im Oktober die Einladungskarten, in denen der Juni des darauffolgenden Jahres als Hochzeitstermin vermerkt war. Jetzt ließ es sich nicht länger hinausschieben, sich um die Details zu kümmern. Ich musste mich endlich hinsetzen und anschnallen, um die furchterregende Fahrt Richtung
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