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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverley Jones
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glaube nicht, dass … Normalerweise mache ich so etwas nicht.«
    »Für mich ist das auch nicht normal«, gab er zurück, »aber es fühlt sich auch nicht an wie eine normale Nacht, oder?«
    Kurz darauf stand ich vor dem weißen Emaillebecken im Badezimmer und starrte die junge Frau im trüben Spiegel an, die wankte und zauderte und sich fragte: Willst du das wirklich? Willst du?
    Die Frau im Spiegel war mutiger als ich. Ihre Antwort lautete: Ja, o ja! Als ich aus dem Badezimmer trat, stand Justin in der Schlafzimmertür und hinter ihm flackerten Kerzen. Er streckte die Hand aus, und ich ging auf ihn zu. Draußen tobte das Meer.
    Am nächsten Morgen wachte ich mit hämmernden Kopfschmerzen auf und brauchte eine Weile, bis mir wieder einfiel, wo ich war. Sonst wusste ich nicht mehr viel – Justin, der in der Schlafzimmertür stand, danach wirre Bilder, rot und schwarz und warm in der weintrunkenen Dunkelheit.
    Da ich nackt war und meine Kleider auf dem Boden verteilt lagen, war nicht schwer zu erraten, was passiert war.
    Ich wünschte, ich könnte behaupten, dass ich schockiert war oder mich schuldig fühlte. Aber das war nicht der Fall. Ich schämte mich zwar ein wenig, genoss es aber, in den Laken zu liegen, die noch warm waren von ihm, und den Geräuschen des Strandhauses zu lauschen, dem Knarzen, dem Pfeifen des Windes. Während ich darauf wartete, dass er zurück ins Bett kam, strahlte ich, innerlich und äußerlich. Es dauerte eine ganze Weile, bis mir aufging, dass das Haus vollkommen still war. Keine rauschende Toilettenspülung, kein fließender Wasserhahn, keine schlurfenden Schritte auf dem Holzboden.
    Ganz langsam, um meinen schmerzenden Kopf nicht zu strapazieren, setzte ich mich auf und stellte die Füße auf den Boden. Ich war noch ein wenig wackelig auf den Beinen, aber sonst ging es mir gut. Weil die Luft kalt war, zog ich mich eilig an.
    Zwei zerrissene Kondompackungen lagen am Fußende des Betts auf dem Boden. Zwei? Meine Güte! Wenn es hochkam, schliefen Dan und ich zweimal die Woche miteinander, und wir hatten es noch nie mehr als einmal pro Nacht getan. Der Gedanke an Dan schnürte mir für einen Moment die Kehle zu, aber ich schüttelte ihn sofort wieder ab. Es war gut zu wissen, dass Justin verhütet hatte, auch wenn ich natürlich die Pille nahm.
    Das Feuer im Wohnzimmer war aus, und es war kühl. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel. »Gute Wellen heute. Ich rufe dich an. Mach dir einen Tee. J x«.
    Lächelnd folgte ich der Aufforderung. Der Kühlschrank war leer bis auf einen Rest Milch, aber auf dem Tisch lag eine halb gegessene Packung Kekse, also schlürfte ich meinen Tee, aß Kekse dazu und versuchte, die Ereignisse der Nacht zu rekonstruieren. Aber wie sehr ich mich auch konzentrierte, jedes Mal wenn ich zu dem Moment kam, in dem ich aus dem Badezimmer getreten war, baute sich eine weiße Wand vor mir auf. Es sah mir gar nicht ähnlich, mich an Teile eines Abends nicht erinnern zu können, aber andererseits tat ich seit fast zwei Tagen nichts anderes, als Alkohol zu trinken.
    Nach meiner zweiten Tasse Tee sah ich mich ein wenig im Wohnzimmer um, aber die Einrichtung gab nicht viel preis. Alles war zweckmäßig und ohne jede persönliche Note eingerichtet. Wahrscheinlich gehörte das Haus einem Mann. Wer auch immer Justins Freunde waren, sie schienen auf James- Bond-Taschenbücher und eigenartigerweise auch auf Groschenromane und Rosamunde Pilcher zu stehen.
    Ich wartete bis zehn Uhr und wurde dann langsam ungeduldig. Wo war Justin? Der Glanz des Morgens begann sich zu verflüchtigen. Ich war durchgefroren und hatte Hunger. Meine selbsterwählte Aura des ungezogenen Mädchens bekam Risse. Ich wollte endlich mit Justin sprechen, wollte von ihm hören, dass er sich ebenfalls wünschte, mich wiederzusehen.
    Immer mit der Ruhe, Jen, ermahnte ich mich. Aber ich konnte nicht verhindern, dass sich ein warmes Glücksgefühl in mir ausbreitete, wenn ich an Justin dachte. Gegen halb elf beschloss ich, ins Hotel zurückzugehen, um mich frischzumachen und umzuziehen. Ich schrieb meine Telefonnummer auf den Zettel, den Justin auf dem Tisch hinterlassen hatte, und schlenderte beschwingt zurück zum Watch-House.
    Dort duschte ich und wartete.
    Aber er rief nicht an.
    Ich trank Tee und wartete noch ein wenig.
    Immer noch kein Anruf.
    Ratlos beschloss ich, im Mochyn Ddu zu Mittag zu essen. Allmählich wurde ich sauer. Warum hatte er mich nicht angerufen? Den ganzen Abend hatte er nur positive Signale

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