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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverley Jones
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ausgesandt. Er war voller Leidenschaft gewesen, und wir hatten uns blind verstanden. Auch der Zettel auf dem Küchentisch hatte vielversprechend geklungen.
    Nachdem ich mein Sandwich mit Räucherlachs und Brunnenkresse zu Ende gegessen hatte, ging ich an die Bar, um zu zahlen. Mir kam spontan der Gedanke, am Strand nach Justin zu suchen, aber ich wusste nicht, in welcher Bucht er normalerweise surfte. Also fragte ich den Wirt.
    »Dieser Justin, wo surft der normalerweise, wissen Sie das?«
    »Welcher Justin?«
    »Er wohnt hier im Ort. Freunde von ihm haben ein Strandhaus am Ende der Landstraße.«
    »Glaub ich nicht.«
    »Er ist ziemlich groß und hat dunkelblonde Haare.«
    »Nein, ich glaube nicht, dass er dort wohnt.«
    »Dann vielleicht einer seiner Freunde?«
    »Das Haus hat keine festen Bewohner, das ist ein Ferienhaus. Aber um diese Zeit steht es meistens leer.«
    »Ein Ferienhaus? Aber Sie kennen Justin doch, oder?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    »Er war gestern Abend auch hier. Wir saßen dort drüben. Wie gesagt: großer Typ, Surferlook.«
    »So sehen die meisten aus, die hierherkommen, Schätzchen.«
    »Aber er stammt aus der Gegend und ist öfter hier im Pub.«
    »Das wüsste ich. Ich kenne die einheimischen Surfer.«
    Ich ging noch einmal zu dem Strandhaus und stellte fest, dass es verschlossen war. Als ich durch die halb zugezogenen Vorhänge in die Küche spähte, sah ich, dass der Zettel vom Tisch verschwunden war. Das Haus sah tatsächlich leer und verlassen aus. Dass es ein reines Feriendomizil war, erklärte auch den leeren Kühlschrank und die ausrangierten Romane.
    Es musste alles ein großes Missverständnis sein. Justin würde mich anrufen, da war ich mir sicher.
    Ich ging eine Stunde am Strand spazieren und grub mit den Zehen nach Muscheln. Vielleicht hatte sein Handy gerade keinen Empfang. Oder er hatte den Zettel mit meiner Nummer verloren. Je mehr Zeit verstrich, desto alberner kam ich mir vor, aber mein Verstand ließ nicht zu, dass ich mir die einzig vernünftige Erklärung für sein Verschwinden eingestand, die bittere Erkenntnis, die vor den Toren meines Bewusstseins lauerte.
    Während ich durch das Dünengras zum Hafen stiefelte, entdeckte ich plötzlich den Mann mit der Sherpamütze vom Vorabend. Wie hatte Justin ihn genannt? Craig, nein, Carl. Er hatte ihm im Pub einen Gruß zugerufen und irgendetwas mit einem »Set« gefragt. Jetzt trug Carl zu seiner Sherpamütze einen Neoprenanzug und Gummischuhe und hatte sich mit seinem Surfbrett in den Windschatten zurückgezogen, um es zu wachsen. Das Brett war mit einem filigranen polynesischen Blumendesign in kräftigen Farben bemalt. Als er das Surfbrett ein Stück drehte, damit es dem Wind weniger Angriffsfläche bot, erkannte ich auf der Unterseite das Maul eines Hais, dessen spitze Zähne durch die schäumende Gischt blitzten.
    »Hey, darf ich dich kurz stören?«, sprach ich ihn an. »Hast du Justin heute schon gesehen? Er wollte auch surfen gehen.«
    »Hi«, sagte er und hob den Blick zu mir. Er wirkte kein bisschen überrascht darüber, dass mitten in der Nebensaison eine fremde junge Frau aus den Dünen auftauchte.
    »Ich kenne keinen Justin, sorry.«
    »Doch, klar«, widersprach ich hartnäckig. »Justin Reynolds? Du heißt doch Carl, oder? Er hat dir gestern Abend im Pub zugewunken, im Mochyn Ddu. Ich war mit ihm da, und er hat dich gefragt, ob du ein gutes Set hattest, oder so was. Erinnerst du dich?«
    Carl sah plötzlich noch weggetretener aus als vorher und richtete den Blick auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne. Nachdem er länger als zehn Sekunden geschwiegen hatte, glaubte ich schon, er würde mir überhaupt nicht mehr antworten, aber dann sagte er: »Ach ja, stimmt. So ein großer Typ.« Er hatte einen walisischen Akzent, aber seine Ausdrucksweise und sein Tonfall erinnerten eher an Kalifornien. »Wir kennen uns nicht, aber er hat mich gestern nach dem Weg gefragt. Wollte wissen, wo er seinen Campingbus parken kann. Irgendwie hatte er wohl Stress mit seiner Alten und wollte mal raus. Diese Models machen immer nur Ärger, wenn sie nicht die volle Aufmerksamkeit kriegen.«
    »Du kennst ihn gar nicht?«, fragte ich überrascht. Das ergab doch überhaupt keinen Sinn! »Er ist also nicht von hier?«
    »Nö, hab ich doch schon gesagt. Er fuhr diesen geilen Bus und wollte wissen, wo er ihn für ein paar Tage sicher abstellen kann. Schönes Fahrzeug – ein Oldtimer, aber noch gut in Schuss. Leider schlucken die Dinger Öl

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