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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverley Jones
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dass Serian wie eine billige Nutte aussah.«
    Das hatte ich tatsächlich gesagt, daher schwieg ich lieber.
    Kurz darauf erhielt ich eine SMS von ihr, in der stand, dass sie mit dem Detective Constable in seinem protzigen Auto sitze und auf dem Weg zu ihm nach Hause sei.
    »Pass auf dich auf«, schrieb ich zurück und bereute, dass ich selbst nicht besser aufgepasst hatte, als es darauf angekommen war.
    Zum Glück hatte Dan am nächsten Tag Spätschicht, sodass ich nicht erklären musste, warum ich früher Feierabend machte und mit einem Umschlag voll Geld in einen Zug stieg.
    Es regnete in Strömen, was mir sehr entgegenkam, weil die Leute mit tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen und Regenschirmen durch die Straßen schlurften und mich hoffentlich nicht beachteten.
    Ich hatte ganz vergessen, was für eine Tortur es war, abends von Cardiff nach Swansea zu fahren. Wie Vieh drängten die Pendler in den Zug, bevor er rumpelnd die walisische Hauptstadt hinter sich ließ und seinen Weg nach Westen fortsetzte, zum Endbahnhof Swansea. Der Sechsuhrzug kam aus London, und die Waggons waren feuchtwarm und rochen nach nassen Schirmen und klammer Wolle. Die Haare sämtlicher Passagiere kräuselten sich oder klebten an den Gesichtern. Da viele Fahrgäste in Cardiff ausgestiegen waren, war zumindest der letzte Wagen nur noch halb voll. Es waren hauptsächlich Geschäftsmänner im Business-Anzug, die hier mit Zombie-ähnlichen Gesichtern vor sich hin dämmerten. Nach ein oder zwei Haltebahnhöfen nickten sie ein und wippten im Rhythmus des Zuges mit den Köpfen.
    Ab und zu wurde ihr holpriger Schlummer von einer schnatternden Schar Frauen unterbrochen, die ins Zentrum von Swansea wollten, um dort »so richtig einen draufzumachen«, und die sich bereits in den schillerndsten Farben ihre bierseligen Heldentaten ausmalten. Sie sahen alle gleich aus, hatten strähnige Haare, zu viel Eyeliner um die Augen und fahle Haut, die auch die fleckige falsche Bräune nicht übertünchen konnte. Gut gelaunt bahnten sie sich ihren Weg zu den freien Sitzen neben den dösenden Krawattenträgern und den verkniffenen Geschäftsfrauen, wobei sie eine Fahne aus ekelhaft billigem Apfelwein, Zigarettenrauch und Haarspray hinter sich herzogen.
    Zum Glück saß ich neben einer alten Frau mit wachen Augen, die eine riesige Tüte Süßigkeiten auf dem Schoß hatte und einen hübschen taillierten Mantel in Hellgrau und einen dicken Schal in hellem Zitronengelb trug. Auf ihren blaugrauen Locken thronte ein gelbes Filzhütchen, das mit einer perlenbesetzten Nadel befestigt war. Im Gegensatz zu allen anderen Fahrgästen sah sie kein bisschen so aus, als wäre sie in den Regen gekommen. Mit ihrer kleinen Drahtgestellbrille las sie hochkonzentriert und vergnügt den Roman Sie von Stephen King.
    Jedes Mal wenn wieder eine kichernde Horde Freundinnen an ihr vorbeiging, runzelte sie mit übertriebener Missbilligung die Stirn und schimpfte mit starkem walisischem Akzent: »Was für ordinäre Leute!« Oder: »Wirklich eine Schande, dass die Menschen heutzutage keine Manieren mehr haben!« Dabei machte sie sich nicht die Mühe, ihre Stimme zu senken.
    Etwa zwei Stationen vor Swansea piepste mein Handy. In der eingetroffenen SMS stand: »Geh im Waggon ganz nach hinten und stell dich neben die Toiletten.« Na also, dachte ich. War Justin irgendwo in der Nähe? Beobachtete er, wie ich seine SMS las und aufstand? Würde ich gleich sein Gesicht wiedersehen? Und wie würde ich auf ihn reagieren? Würde ich ihn beschimpfen oder ihn anflehen, würde ich ihm anstandslos den Umschlag überreichen oder ihn ihm um die Ohren hauen?
    Mein Herz hämmerte wie verrückt gegen meinen Brustkorb, und ich atmete schwer. Nachdem ich mich schwankend an den Geschäftsmännern und Damengruppen vorbeigedrängt hatte, erreichte ich die Toiletten am Ende des Waggons und blieb wartend daneben stehen.
    In diesem Moment erreichte mich eine weitere SMS: »Wenn der Zug den nächsten Bahnhof verlässt und dein Waggon am Ende des Bahnsteigs angekommen ist, wirfst du den gepolsterten Umschlag aus dem Fenster.«
    »Wie bitte?«, fragte ich laut. Herr Jesus auf dem Fahrrad! Jetzt wurde es langsam albern!
    »Herr Jesus auf dem Fahrrad!« war ein typischer Spruch meiner Mutter, den ich irgendwann um meinen zwölften Geburtstag herum von ihr übernommen hatte, genau wie ihre Abneigung gegen schmutzige Tassen, die im Wohnzimmer herumstanden, und Leute, die auf die Straße spuckten. Meine Mutter fluchte sonst nie

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