Der Preis des Schweigens
ich und schob mein Handy in die Handtasche. »Hab vergessen, mein Telefon auszuschalten.«
»Her damit«, befahl er und streckte die Hand aus.
»Was? Warum?« Ich spürte plötzlich einen kleinen panischen Stich im Magen.
»Gib mir einfach dein Handy.«
Ich konnte mich schlecht weigern und kam seiner Aufforderung daher zögernd nach.
Er schaltete das Telefon aus und verstaute es dann mit Nachdruck in der Tasche seiner Fleecejacke. Dann zog er sein eigenes Handy aus der Hosentasche, schaltete es aus und steckte es wieder weg.
»Keine Handys«, erklärte er bestimmt. »Keine Arbeit, keine Anfragen, keine Unfälle, keine Toten. Keine Anrufe von deiner Mutter, keine Kostenvoranschläge für die Hochzeit. Nur du und ich. Das ist der Plan.«
»Abgemacht«, stimmte ich zu und lächelte erleichtert. »Darauf stoßen wir an.«
Während des ganzen restlichen Tages fühlte ich mich wie eine Frau, die einer ungewissen Zukunft im letzten Moment von der Schippe gesprungen ist, auch wenn ich wusste, dass das eine Illusion war. An diesem friedlichen Ort an der Küste, umringt von höflichen, freundlichen Menschen, kam mir die ganze Geschichte mit Justin plötzlich wie eine langweilige Fernsehepisode vor, die ich genervt ausgeschaltet hatte. Sie betraf mich nur, wenn ich es zuließ. Und die Hochzeitsplanung mit ihren überfälligen Anzahlungen und Gästelisten konnte auch bis Montag warten. Dieses Wochenende mit Dan, das wir fern von allem verbrachten, war wie ein kurzer Aufschub, eine Atempause.
Am späten Nachmittag schlenderten wir durch den Ort und bewunderten die hübschen historischen Gebäude und die restaurierten Landhäuser. Schneeglöckchen lugten aus dem Gras, und die Luft roch nach Rauch und Salzwasser. Ich bewunderte antike Kuriositäten wie Fußabstreifer aus Metall vor den Türen der älteren Häuser und Haken zum Anbinden der Pferde neben den Dorfkneipen. Es war, als wären wir mitten in einem Jane-Austen-Roman gelandet. Junge Mütter spazierten mit ihren glucksenden Kleinkindern herum, und illustre grauhaarige Dorfbewohner eilten oder humpelten mit Einkaufstüten und zusammengerollten Zeitungen vorbei und grüßten jeden mit einem freundlichen »Guten Abend«.
Irgendwann kam ein runzliger, aber sorgfältig gekleideter älterer Herr an uns vorbei, der seinen Hund spazieren führte. Wir spähten gerade in das Schaufenster eines altmodischen Pralinenladens.
»Guten Abend«, sagte er und tippte grüßend an seinen kleinen Filzhut, den ich absolut entzückend fand.
»Guten Abend«, grüßten Dan und ich im Chor zurück und grinsten uns an.
»Mann, wäre das schön, wenn ich hier arbeiten könnte«, seufzte Dan. »Bis auf den ein oder anderen Schafdiebstahl oder Beschwerden über unverbesserliche Zecher, die nach ihrer Kneipentour an die Briefkästen pinkeln, passiert hier bestimmt nicht viel. Ein Paradies für einen Polizisten.«
Nach unserer Begegnung mit dem alten Herrn schlenderten wir Hand in Hand am Kai entlang und genehmigten uns ein Eis.
»Hör zu, Jen, ich habe nachgedacht. Über die Flitterwochen«, sagte Dan am Abend im Restaurant. »Eigentlich ist es mir ganz egal, wo wir hinfahren, Hauptsache, wir sind zusammen. Ich bin mit jedem Reiseziel einverstanden, das du aussuchst. Es war wohl ein bisschen egoistisch von mir, dass ich unbedingt an einen ruhigen, abgelegenen Ort wollte, um den ganzen Trubel hinter mir zu lassen. Aber du wolltest nie eine große, aufwendige Hochzeit, also sollst du wenigstens bei den Flitterwochen das Sagen haben. Du hast es verdient, dass alle deine Wünsche erfüllt werden. Ich weiß, dass sich bei mir in letzter Zeit alles um meine Arbeit und meine Beförderung gedreht hat, aber jetzt, wo ich mich in meiner neuen Position bewährt habe, wird es bestimmt ein wenig ruhiger.
Wenn du dich bei der Polizei nicht mehr wohlfühlst, könntest du doch eine Umschulung machen. Keiner zwingt uns zu irgendetwas, wir können tun und lassen, was wir wollen. Wenn ich an Orten wie diesem bin, wird mir erst bewusst, dass man seine Tage auch schöner verbringen kann, als wir es derzeit tun.«
»Darauf stoßen wir an«, sagte ich und hob mein Glas Merlot. Meine Stimme war plötzlich belegt, weil in mir die unterschiedlichsten Gefühle stritten, Gefühle, die ich lieber nicht näher erkundete. Statt noch etwas hinzuzufügen, legte ich meine Hand an Dans Wange. Er nahm und küsste sie.
An diesem Abend schliefen wir aneinandergekuschelt ein, und das Letzte, was wir hörten, waren das
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