Der Prinz im zerbrochenen Spiegel (Die Märchen um Zwergenkönig Jetts Söhne)
gänzlich wiederherstellen konnte. Als er mit den Beinen fertig war, erklärte er seine Arbeit für beendet. Devlin blieb einen weiteren Monat bei Bellasier , weil die Behandlung nicht nur den Heiler, sondern auch ihn geschwächt hatte. Außerdem wollte er nicht abreisen, bevor Odo sein Portrait vollendet hatte.
Devlin kannte nur die Skizzen. Das Portrait selbst wurde unter einem großen weißen Tuch verborgen, solange der Künstler nicht daran arbeitete. Wenn Devlin ihm Modell saß, schlief er meistens nach einiger Zeit ein. So bemerkte er nicht, wie Odo den letzten Pinselstrich setzte. Devlin wurde von einem freundschaftlichen Kuss auf seine Stirn geweckt. "Wacht auf, mein Prinz! Wollt ihr jetzt sehen, was für ein Bild ich für euch gemalt habe?"
Natürlich wollte Devlin . Er zog sich seinen Umhang über den nackten Körper. Maler und Modell traten Hand in Hand vor das Portrait. Es verschlug Devlin die Sprache.
"Ich habe das Bild DER PRINZ IM ZERBROCHENEN SPIEGEL genannt", wisperte Odo. "Gefällt es euch?"
Devlin stammelte etwas Unzusammenhängendes, während er sich jede Einzelheit des Bildes einprägte. Dort saß ein makelloser nackter, wunderschöner junger schwarzhaariger Mann, dem Betrachter halb zugewandt, vor einem schadhaften Spiegel, dessen Fläche von mehreren Brüchen durchzogen war. Das Spiegelbild zeigte Devlin mit all seinen Entstellungen. Es war ihm in diesem Moment, als blickte er tatsächlich in einen Spiegel. Tränen füllten seine Augen. Er weinte lautlos.
"Es gefällt euch nicht", sagte Odo betrübt. Stumm hob Devlin die Hand und deutete auf den Mann vor dem Spiegel, fragend den Blick in Odos Richtung wendend.
"Ja, so würdet ihr heute aussehen, hättet ihr in eurer Kindheit nicht den Unfall gehabt."
"Ach Odo!", seufzte Devlin . "Euer Portrait ist so wunderbar. Doch es schmerzt mich sehr zu sehen, was ich verloren habe."
Der Maler nahm ihn in den Arm. Devlin schmiegte sich an den Freund, bis seine Tränen versiegt waren. "Bitte hängt dieses Portrait nicht in einen von den Gemeinschaftsräumen", bat der Prinz schließlich.
"Aber es ist ein Geschenk für euch", entgegnete Odo.
"Für mich?"
"Wenn ihr es nicht mögt, könnt ihr es ja in der hintersten Kammer eurer Wohnung verstauben lassen."
"Das wird nicht geschehen. Ich mag das Bild sehr und werde einen guten Platz dafür finden. Vielen Dank!" Devlin küsste den Maler auf beide Wangen. Seine Zeit bei Bellasier neigte sich dem Ende. Er wurde mit einem großen, fröhlichen Festessen verabschiedet, an dem alle Bewohner des Hauses teilnahmen. Am nächsten Tag brach er erst zur Mittagszeit auf, da er über den Morgen seinen Rausch ausgeschlafen hatte. Er fragte mehrmals, welchen Lohn sich Bellasier für seine Mühe wünschte, doch der Heiler erklärte hartnäckig, Devlins neues Aussehen sei ihm Lohn genug. So begab sich der Prinz nach einem herzlichen Abschied mit dem sorgsam zusammengerollten Portrait im Gepäck, das Odo in wasserdichtes Leder gehüllt hatte, auf den Rückweg nach Hause. Da er seine gesamte Pilgerreise zu Fuß bewältigt hatte, statt sich mit Hilfe der Magie fortzubewegen, wollte er auch den Rückweg auf dieselbe Art bestreiten. So würde es Wochen dauern, bis er wieder zu Hause war.
Bellasier und Odo sahen ihm lange nach. "Weshalb hast du Devlin das Bild überlassen?", fragte der Heiler seinen Schüler.
"Das Portrait soll die Liebe von Prinzessin Bea für den Prinzen erwecken."
"Weißt du nicht, das Liebesszauber in den allermeisten Fällen nach hinten losgehen?", schimpfte Bellasier . "Ich hätte dich für klüger gehalten."
"Aber das Bild enthält gar keine Magie, und ich habe es auch nicht mit Hilfe der Magie erschaffen", erklärte Odo gekränkt.
"Ein Liebeszauber, der gar kein Liebeszauber ist?", wunderte sich der Heiler.
"Ich dachte mir, es hilft ihr vielleicht auf die Sprünge, ihren Gemahl einmal ohne seine Makel betrachten zu können. Er wäre ohne die Verletzungen ein schöner Mann geworden, nicht wahr?! Ich habe es sofort erkannt, als ich ihn das erste Mal ansah. Eine Weile überlegte ich, wie ich mich dem Problem künstlerisch nähern könnte, bis ich Devlin eines Tages vor dem Spiegel seines Zimmers sah, vertieft in den Anblick seiner frisch behandelten Haut. Und so kam mir die Idee des Doppelporträts. Ich bildete ab, wie es ist und wie es hätte sein können."
"Du verändertest den Blickwinkel", stellte Bellasier fest. "Ein schlauer Einfall, doch ich befürchte, dass dies bei einer so dummen Frau wie Prinzessin Bea
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