Der Prinz im zerbrochenen Spiegel (Die Märchen um Zwergenkönig Jetts Söhne)
nicht viel nützt."
"Wie man hört, sind König Rainer und Königin Gwyneth kluge, weise und gebildete Menschen. Wie kann es sein, dass solche Eltern eine dumme Tochter zeugen?"
Bellasier lachte auf. "Deine logischen Schlüsse sind bemerkenswert. Hoffen wir, dass Bea bald mit dem Denken anfängt."
Ein Jahr nach Devlins Abreise aus seiner Heimat trat der Zwergenbotschafter Hanno wieder vor den menschlichen König Rainer und teilte ihm in seinem Thronsaal vor seiner versammelten Familie und dem herbeigerufenen Adel mit, dass die Pilgerreise seines Bruders erfolgreich verlaufen sei und Devlin in den nächsten Tagen im Schloss vorsprechen wolle, um seine Frau Bea ins Zwergenreich zurückzuholen.
"Dies ist eine hervorragende Nachricht", sagte König Rainer. "Ich werde meinen Schwiegersohn Devlin jederzeit in meinem Schloss willkommen heißen."
Der König wandte sich zu einem der Schreiber. "Notiere, dass der Bann gegen die Zwerge aufgehoben ist! Ab sofort dürfen sie wieder die Hauptstadt und das Schloss besuchen."
Der Schreiber notierte sorgsam, was ihm aufgetragen worden war, während Rainer ungeduldig mit den Fingern auf der Lehne seines Thrones trommelte. Als das Schriftstück fertig war, erhob sich Rainer, las es noch einmal durch und setzte danach das königliche Siegel darunter. Dann nahm er Hanno bei der Hand und verließ mit diesem in unschicklicher Eile den Thronsaal. Die beiden Männer suchten sich den nächstbesten Raum, in dem sie sich von den anderen unbeobachtet, begrüßen konnten. Rainer presste den Prinzen gegen eine Wand, beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn mit einer verzweifelten Leidenschaft, die sich in den Monaten der Trennung bei ihm aufgestaut hatte. "Liebst du mich noch?", fragte er.
"Und wie", sagte Hanno, schon an den Hosenverschlüssen seines Liebhabers nestelnd. Als er sie geöffnet hatte, fuhr er fordernd mit der Hand unter den Bund.
"Hattest du in der Zwischenzeit im Zwergenreich viele Liebhaber?", verlangte Rainer eifersüchtig zu wissen.
"Dutzende", erklärte Hanno und als Rainer ein missbilligendes Geräusch machte, setzte er hinzu: "Ich nahm die Männer wie Medizin gegen den Trennungsschmerz."
Diese Erklärung stellte Rainer halbwegs zufrieden. Genussvoll schloss er die Augen und gab er sich den sinnlichen Berührungen von Hannos Händen hin.
"Und wie viele Affären hattest du?", fragte der Prinz plötzlich.
"Ich brauchte schließlich auch Medizin", antwortete Rainer. Hanno lachte amüsiert auf. "Ab jetzt bin ich wieder für dich zuständig. Ich werde dir alle Medizin geben, die du benötigst."
"Oh ja, fang nur gleich mit der Behandlung an!", sagte Rainer lüstern.
Während sich der König seine Dosis Hanno verabreichen ließ, verließ Bea den Thronsaal, um sich wieder in ihre Räume zurückzuziehen, die sie während der Dauer des vergangenen Jahres kaum verlassen hatte. Die Prinzessin hatte Angst. Alle Welt war zufrieden über die Entwicklung der Ereignisse. Nur - was sollte aus ihr werden? Wie würde Devlin sie in Zukunft behandeln, und wie würde es ihr im Zwergenreich ergehen? Gewiss hatte ihr Devlin die Zurückweisung noch nicht verziehen. Wahrscheinlich nahm er sie nur zurück, weil die Staatsräson es erforderte. Viele Fragen gingen ihr durch den Kopf. Da sie es nicht ertragen konnte, dass ihre Gedanken wieder und wieder um dieselben Themen kreisten, begann sie zu packen. Ihre schönen Kleider würde er ihr ja wohl lassen.
Der Tag an dem Devlin seine Frau offiziell und in Ehren zurücknehmen würde, begann mit Sonnenschein. Bea hoffte, dass dies ein gutes Ohmen war. Sie badete und machte sich sorgfältig zurecht. Der Thronsaal war von den Adeligen des Reiches und den Gefolgsleuten des Königs bevölkert wie kaum jemals zuvor. Jeder wollte mit eigenen Augen sehen, was es mit der Reise Devlins auf sich hatte, ob er wirklich medizinisch behandelt worden war. Viele hielten die Geschichte von seiner Pilgerreise nämlich für eine Lüge, um die wahre Tatsache zu bemänteln, dass Devlin seine Frau aus welchen Gründen auch immer gleich nach der Hochzeitsnacht aus seinem Heim geworfen hatte. Ein Raunen ging durch die Menge, als Devlin mit stolz erhobenem Haupt, glattem Gesicht und einem festen, sicheren Gang den Saal bis zum Thron durchschritt. Seine Bewegungen wirkten immer noch ein wenig unregelmäßig, aber der Unterschied zu früher war phänomenal.
Bea glotzte mit offenem Mund, als Devlin zu ihr herantrat. "Mach den Mund zu, Liebling und gib mir einen Kuss!", scherzte er.
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