Der Prinz in meinem Maerchen - Roman
Weile lang in Annas Streuselkuchen herumgepickt hatten, verabschiedeten sich beide »zum Lernen« nach oben.
»Ich verstehe nicht, wie Erwachsene Jugendliche als egoistisch bezeichnen können, wenn sie sich selbst wie egoistische Kinder verhalten«, verkündete Chloe, bevor sie verärgert nach oben in ihr Zimmer abdampfte.
Becca folgte ihr wortlos, die Arme voller Bücher.
Ein paar Mal nahm Anna danach den Telefonhörer ab, um zu prüfen, ob sie sich bei ihren Freunden beklagten, doch da beide jeweils sowohl ein Laptop als auch ein Handy besaßen, gab es für sie keinen Grund, ihren Unmut einer Kontrolle preiszugeben – anders als die unzähligen Male, bei denen Chloe Anna »versehentlich« Gespräche mit Sarah hatte mithören lassen, in denen sie sich bitterlich über Annas unfaire Regelung bei den Schlafenszeiten beschwert hatte.
Dies hier war pure Wut. Wut über sich selbst und ihre Familie; Wut, die durch Mark und Bein ging. Sie verlieh Anna das Gefühl, noch mehr abseits zu stehen als ohnehin schon. Die Mädchen liebten Sarah so sehr, dass sie es sich leisten konnten, wirklich eine Stinkwut auf sie zu haben; sie waren wütend, weil sie ihre Mutter so sehr liebten. Und das war auch der Grund, warum Sarah ärgerlicherweise so ruhig blieb. Sie war ihre Mutter, und nichts konnte an dieser Tatsache etwas ändern.
»Anna?« Phil drehte sie so, dass sie ihm in die Augen sehen musste. Sie waren zum ersten Mal allein, seitdem der Östrogenstrudel das Haus im Griff hatte. War er erst heute Morgen zum Flughafen gefahren? Anna kam es vor, als sei das schon einige Tage her.
»Was denn?«
»Wenigstens ist sie hier, damit wir als Familie darüber reden können, von Angesicht zu Angesicht«, flüsterte er.
»Ich gehöre auch zu dieser Familie, Phil.« Anna hatte Mühe, leise zu sprechen. »Das wird auch Auswirkungen auf mich haben. Auf uns beide.«
Er versuchte, sie eng an sich zu drücken. Anna setzte sich dagegen jedoch zur Wehr – in der Absicht, mehr sich selbst als ihn zu bestrafen.
»Meinst du, es ist okay für sie? Dass sie bald einen Halbbruder oder eine Halbschwester haben?«
Phil antwortete nicht. Seine Miene sprach jedoch Bände, und es erschrak Anna, wie fremd er ihr plötzlich war. Eine Weile lang lagen sie einfach da und starrten einander an, aus Angst, ihre Gedanken laut auszusprechen.
Anna wurde von Verzweiflung übermannt. Phil hatte zwar immer noch nichts gesagt, doch sie konnte eine Veränderung an ihm wahrnehmen und verfluchte ihre eigene Naivität, tatsächlich geglaubt zu haben, dass alles ganz einfach werden würde. Bis jetzt schien sie einfach nur Glück gehabt zu haben.
Im Hintergrund plätscherte das Radio vor sich hin; jene zwanzig Minuten, die die Geräusche des Hauses übertönten und für gewöhnlich dafür sorgten, dass Anna trotz Phils Schnarchen jede Nacht einschlief. Normalerweise hörte sie nie hin, doch heute Abend konnten sich Zuhörer zum Thema »Gebrochene Versprechen in der Beziehung« beim Moderator melden. Irgendeine Frau aus Droitwich fluchte über Männer, die sich partout nicht binden wollten und Frauen solange hinhielten, bis diese irgendwann zu alt waren.
Anna versuchte, lieber erst gar nicht hinzuhören, doch vergeblich. Das Radio stand an Phils Bettseite, sie hätte sich also über ihn beugen müssen, um es abzuschalten, und damit seine Aufmerksamkeit nur auf das Thema gelenkt. Phil lauschte niemals den Songtexten oder dem Hintergrundgesäusel, während sie ihren Verstand nicht davon abhalten konnte, Worte wie Schmetterlinge in einem Fangnetz einzusammeln.
Ich will keine dieser verrückten, verbitterten Frauen werden, dachte Anna. Wie lange werde ich den Mädchen Zeit lassen müssen, um über die Sache hinwegzukommen? Aber selbst wenn die Mädchen je darüber hinwegkommen sollten – wird auch Phil das schaffen?
Sie schloss die Augen und versuchte, die seltsam sehnsüchtigen Impulse beiseitezuschieben, die sie als fürchterliche, egoistische Stiefmutter dastehen ließen, obwohl sie doch nur eine normale Frau war, die sich ein Baby mit dem Mann wünschte, den sie liebte. Zum ersten Mal in ihrem Leben ließ ihr sonst so unermüdlicher Vorrat an Worten Anna im Stich. So brannten sich die nackten Gedanken schonungslos und hässlich in ihren Verstand ein.
Ist mir ein Baby wichtiger als Phil?
»Wie geht es dir so?«, flüsterte er. »Du weißt schon …« Er zog bedeutungsvoll die Augenbrauen hoch.
Er meint das Baby, bringt es aber nicht fertig, es auszusprechen,
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