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Der Prinz und der Soeldner

Der Prinz und der Soeldner

Titel: Der Prinz und der Soeldner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lois McMaster Bujold
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Bäume hatten schon ihre Herbstfarben angelegt.
    Als er aus dem Transporter des Sicherheitsdienstes zum Hintereingang des großen, klotzigen Gebäudes verfrachtet wurde, das das Hauptquartier des Kaiserlichen Sicherheitsdienstes beherbergte, konnte Miles einen Blick auf einen solchen Baum erhaschen. Ein Erdahorn, mit karneolroten Blättern und einem silbergrauen Stamm, auf der anderen Straßenseite. Dann schloss sich die Tür.
    Miles hielt sich diesen Baum vor sein geistiges Auge, versuchte ihn zu erinnern, für den Fall, dass er ihn nie wieder sah. Der Leutnant holte Passierscheine heraus, mit denen Miles und Overholt schnell an den Türwachen vorbeikamen, und führte sie durch ein Labyrinth von Korridoren zu einem Paar von Liftrohren. Sie betraten das Rohr, das nach oben führte, nicht das nach unten. Also wurde Miles nicht direkt in den ultrasicheren Zellenblock unter dem Gebäude gebracht.
    Ihm wurde klar, was das bedeutete, und er hatte sehnsüchtiges Verlangen nach dem anderen Rohr. Sie wurden in ein Büro auf einem der oberen Stockwerke geführt, an einem Hauptmann vorbei, dann in ein inneres Büro. Ein hagerer, kühler Mann in Zivilkleidung, mit braunem Haar, das an den Schläfen schon grau wurde, saß an einem Tisch mit einer sehr großen Komkonsole und studierte ein Vid. Er blickte zu Miles’ Begleitern auf.
    »Danke, Leutnant, Sergeant. Sie können gehen.«
    Overholt machte Miles von seinem Handgelenk los, während der Leutnant fragte: »Hm, sind Sie dabei sicher, Sir?«
    »Ich nehme an«, sagte der Mann trocken.
    Ja, aber was ist mit mir? jammerte Miles innerlich.
    Die beiden Soldaten gingen hinaus und ließen Miles allein stehen. Ungewaschen, unrasiert, immer noch in der schwach stinkenden schwarzen Arbeitsuniform, die er – erst gestern Abend? – übergezogen hatte. Das Gesicht wettergegerbt, mit seinen geschwollenen Händen und Füßen, die noch in ihren medizinischen Hüllen aus Plastik steckten – seine Zehen krümmten sich jetzt in ihrer matschigen Nährmasse. Keine Stiefel. Während des zweistündigen Fluges hatte er in stoßweise auftretender Erschöpfung gedöst, ohne dass er spürbar erfrischt war. Seine Kehle war rau, seine Nebenhöhlen fühlten sich an wie mit Verpackungsfasern vollgestopft, und seine Brust tat weh, wenn er atmete.
    Simon Illyan, Chef des Kaiserlichen Sicherheitsdienstes von Barrayar, verschränkte seine Arme und musterte Miles langsam, vom Kopf bis zu den Zehen und wieder hinauf. Es gab Miles eine verdrehte Empfindung von déjà vu.
    Praktisch jeder auf Barrayar fürchtete den Namen dieses Mannes, obwohl nur wenige sein Gesicht kannten. Dieser Effekt wurde von Illyan sorgsam kultiviert, wobei er teilweise – aber nur teilweise – auf dem Erbe seines gefährlichen Vorgängers, des legendären Sicherheitschefs Negri, aufbaute. Illyan und seine Abteilung hatten ihrerseits die Sicherheit von Miles’ Vater in den zwanzig Jahren seiner politischen Karriere gewährleistet und dabei nur einmal einen Fehler begangen, während der Nacht des niederträchtigen Soltoxinattentats.
    Auf Anhieb kannte Miles niemanden, den Illyan fürchtete, außer Miles’ Mutter.
    Miles hatte einmal seinen Vater gefragt, ob das ein Schuldgefühl sei, wegen des Soltoxins, aber Graf Vorkosigan hatte geantwortet: Nein, das sei nur die anhaltende Wirkung lebhafter erster Eindrücke.
    Miles hatte Illyan sein ganzes Leben lang ›Onkel Simon‹ genannt, bis er in die Streitkräfte eingetreten war, danach nannte er ihn ›Sir‹.
    Als er jetzt auf Illyans Gesicht schaute, dachte Miles, dass er jetzt endlich den Unterschied verstünde zwischen Ärger und höchstem Ärger.
    Illyan beendete seine Inspektion, schüttelte den Kopf und stöhnte: »Wunderbar. Einfach wunderbar.«
    Miles räusperte sich. »Bin ich … wirklich unter Arrest, Sir?«
    »Das wird dieses Gespräch ergeben«, seufzte Illyan und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich bin seit zwei Uhr morgens aufgewesen wegen dieser Eskapade. Gerüchte schwirren überall in den Streitkräften umher, so schnell wie das Vidnetz sie übertragen kann. Die Fakten scheinen alle vierzig Minuten zu mutieren, wie Bakterien. Ich glaube nicht, dass du dir eine öffentlichere Methode der Selbstzerstörung hättest aussuchen können? Versuchen, den Kaiser mit deinem Taschenmesser während der Geburtstagsparade zu ermorden, zum Beispiel, oder während der Hauptverkehrszeit auf dem Großen Platz ein Schaf zu vergewaltigen?« Der Sarkasmus ging über in echte Pein.

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