Der Prinz von Atrithau
schienen. Dann war die Klinge von Sarcellus überall und hämmerte seine Deckung nieder. Mit dem Mut der Verzweiflung konnte er ihn abwehren und aus dem Aktionskreis seines Schwerts springen.
Die ausgehungerte Menge jammerte und schrie, und der Boden vibrierte unter seinen Schuhen.
Er war erschöpft, und alte Wunden schmerzten ihn.
Ihre Klingen kreuzten sich wie Scheren, zuckten auseinander, streiften schwitzende Haut, kreisten um die Sonne und klapperten und knirschten wie Zähne.
Cnaiür war schweißgebadet. Jeder Atemzug tat ihm weh wie ein Messerstich.
Der Krawall ringsum ließ immer mehr nach. Die Grenzen zwischen ihm, dem Boden und dem dunklen Baum lösten sich auf. Plötzlich erfüllte ihn etwas, riss ihn nach vorn und ließ ihn brüllend angreifen.
Er hieb einmal, zweimal, dreimal mit einer Wucht auf Sarcellus ein, die Bullen hätte zweiteilen können.
Der Tempelritter stockte und stolperte, rettete sich mit einem unmenschlichen Sprung rückwärts, drehte in der Luft eine Pirouette… und landete in der Hocke.
Sein Lächeln war verschwunden.
Mit verschwitzter Mähne und wogender Brust hob Cnaiür die Arme der tobenden Menge entgegen.
»Wer«, brüllte er, »stößt mir das Messer ins Herz?«
Wieder fiel er über den Tempelritter her und trieb ihn aus dem Schatten des Umiaki. Auch wenn Sarcellus’ Fechten unter den wütenden Angriffen seines Gegners etwas an Geschmeidigkeit verloren hatte, war es in seiner Präzision doch wunderschön – und unbezwingbar. Plötzlich holte Sarcellus fast spielerisch aus, und sein Schwert verwandelte sich in einen glitzernden Windstoß, der Cnaiürs Wange streifte und sein Schienbein traf.
Der Scylvendi wich zurück. Wilde Enttäuschung packte ihn, und er brüllte vor Trotz.
Eine Schwertspitze schnitt ihm durch den Oberschenkel. Er rutschte aus und fiel nach vorn. Seine Kehle war ungeschützt.
Nein…
Mitten durch den Tumult drang eine mächtige Stimme.
»Sarcellus!«
Gotian. Er ließ Eleäzaras stehen und näherte sich misstrauisch seinem übereifrigen General. Die Menge verstummte von einem Moment auf den anderen.
Die Augen des Hochmeisters waren starr vor Überraschung. »Wo…«, begann er, schluckte und fuhr dann fort: »… wo hast du so zu kämpfen gelernt?«
Der Tempelritter wirbelte herum. Sein Gesicht war eine Maske ehrfürchtiger Unterwürfigkeit.
»Mein Gebieter, ich habe…«
Plötzlich zuckte er zusammen und hustete Blut. Cnaiür drückte ihn mit dem Schwert zu Boden, schlug ihm vor den Augen des verblüfften Hochmeisters den Kopf ab, packte das Haupt beim Schopf und hielt es in die Luft. Dabei öffnete sich die Miene des Toten wie ein Harem aus Gliedern. Gotian fiel auf die Knie. Eleäzaras stolperte rückwärts in seine Sklaven. Das entsetzte und begeisterte Toben der Menge – der Aufruhr der Enthüllung – schlug über Cnaiür zusammen, als er das Spinnenwesen dem Hochmeister der Scharlachspitzen vor die Füße warf.
25. Kapitel
CARASKAND
Was bedeutet ein Leben voller Illusionen ?
Ajencis: Dritte Analyse des Menschengeschlechts
CARASKAND, VORFRÜHLING 4112
Eilends und doch tief verschreckt schnitten die Nascenti den Kriegerpropheten vom Bronzering. Ganz Caraskand schien den Atem anzuhalten.
Obwohl der Dûnyain zu Tode erschöpft hätte sein müssen, verlieh etwas Unerklärliches ihm Kraft. Er stützte die Arme auf die Knie, ließ seine aufgeregten Schüler mit einigen Handbewegungen Abstand halten und erhob sich dann zum Staunen aller. Man schlang ihm ein weißes Leinentuch um den Leib. Dann stolperte er unter dem Halbdunkel des Umiaki hervor und hob das Gesicht zur Sonne und zum Himmel. Er spürte Ehrfurcht durch die Menge gehen – Ehrfurcht, die ihm galt. Er hob die Hände, und es schien, als umarmte er das gesamte Gebiet der Drei Meere.
Ich glaube zu verstehen, Vater…
Verzückte und ungläubige Rufe drangen über den vollbesetzten Kaiaul. Ein paar Schritte entfernt standen Cnaiür und Eleäzaras wie vom Donner gerührt da. Incheiri Gotian stolperte vor, fiel auf die Knie und weinte. Kellhus lächelte in grenzenlosem Mitgefühl. Überall sah er Menschen knien…
Ja… Der Tausendfältige Gedanke.
Und es schien nichts zu geben, was ihn an diesen oder einen anderen Ort hätte binden können… Er war alles, und alles gehörte ihm…
Er war ein Initiierter. Ein Dûnyain.
Er war der Kriegerprophet.
Tränen liefen ihm über die Wangen. Mit leuchtender Hand griff er in seine Brust, riss
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