Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
Lennart Geijer unterscheiden sich in allem – hier geht es nicht einfach nur darum, dass die Wellenlänge nicht stimmt, hier bewegt man sich auf vollkommen unterschiedlichen Niveaus, die Gegensätze waren von Geburt an gegeben –, und die Sache wird nicht besser, als Geijer Ebbe Carlsson zu seinem Pressesprecher ernennt und zu seinem nächsten Vertrauten macht.
Der Kampf zwischen Geijer und Persson kann beginnen. Der Kampf zwischen dem »wichtigsten Vertreter einer liberalen und humanitären Kriminalpolitik« und »den Reaktionären der Reichspolizeibehörde mit Carl Persson an der Spitze«, wie Dagens Nyheter die Hauptakteure in dem stillen Drama, das jetzt seinen Anfang nimmt, immer wieder präsentiert. Ich selbst habe mich gerade mit einem Fuß auf diese Bühne vorgewagt. Auf die falsche Seite, wenn man der größten Tageszeitung des Landes glauben will.
In verschiedenen Punkten ist es zwischen Justizministerium und Reichspolizeibehörde bereits zu Differenzen gekommen in wichtigen wie unwichtigen Dingen und ganz gleichgültig, ob es um die allgemeine Kriminalpolitik, die Entwicklung der Kriminalität oder den Zimmerstandard unserer Haftanstalten geht.
Es ist Ebbe Carlsson gelungen, einen Maulwurf aus den Reihen der Polizei zu rekrutieren und keinen schlechten. Er heißt Hans Holmér. Bis 1976 ist er Chef der Sicherheitspolizei und Carl Persson direkt unterstellt. Dann wird er Polizeichef in Stockholm, dem größten Polizeibezirk des Landes. Er ist Ebbe Carlssons bester Freund und ein Vertrauter Geijers und Palmes. Laut eigener Beschreibung, selbst mir gegenüber, ist er »der einzige höhere Polizist im Land, dem Olof Palme vertraut«. Holmér ist ehrgeizig, und jetzt spitzt es sich wirklich zu.
Die kriminalpolitische Arena ist groß. Genau wie bei einem Leichtathletikwettbewerb finden viele Aktivitäten gleichzeitig statt. Wir graben nach den Wurzeln der Geijer-Affäre, und praktischerweise sind einige von diesen bedeutend interessanter als andere. Ganz konkret geht es um Sexualverbrechen: Vergewaltigung, Unzucht mit Kindern, Zuhälterei, Prostitution und die rechtlichen und sozialen Probleme, die daraus resultieren.
Eine der ersten Maßnahmen Geijers als neuer Justizminister ist, eine Kommission zu ernennen, die das sechste Kapitel des Strafgesetzbuches durchsehen soll. Dieses Kapitel handelt von Sittlichkeitsverbrechen, wie man zu dieser Zeit sagt, das heißt, Straftaten wie Vergewaltigungen, andere Formen sexueller Nötigung, Unzucht, Inzest und Zuhälterei.
Der Sexualstraftaten-Ausschuss nimmt seine Arbeit 1971 auf. Er braucht fünf Jahre bis 1976, bis er seine Vorschläge vorlegt. Kritik an der Kommission wird jedoch bereits vorher laut, und als die Vorschläge für neue Gesetze für Sexualverbrechen vorliegen, hat die Kritik Orkanstärke erreicht.
Die Direktiven, die Geijer der Kommission erteilt, sind stark von dem sexuellen Liberalismus der frühen 1960er Jahre geprägt. In der Generation und der Schicht, der er entstammt, gibt es viele Sozialliberale, die die Auffassung teilen, der die Direktiven der Kommission Ausdruck verleihen. Sie repräsentiert auch die radikale Sichtweise der frühen 1960er Jahre.
Das Problem ist jedoch, als fünfzehn Jahre später die neuen Gesetzesvorschläge vorgelegt werden, andere ideologische Strömungen die Debatte, die von jungen Radikalen und nicht zuletzt Frauen geführt wird, beherrschen. Für Lennart Geijer muss es schrecklich sein, dies mitzuerleben. Dass ausgerechnet die jungen radikalen Menschen, die zuvor seine liberal geprägte Kriminalpolitik unterstützt haben, sich so engagiert, so erzürnt, so aufgebracht gegen ihn wenden.
Die Kommission schlägt Strafminderung und Straffreiheit für eine Menge Straftaten wie Vergewaltigung, Unzucht, Inzest und Zuhälterei vor. Liest man den Kommissionsbericht heute, und vergleicht man ihn mit der heutigen Gesetzgebung, der radikalen Debatte und den ideologischen Strömungen, die seit über dreißig Jahren in der westlichen Welt vorherrschend sind, dann erscheinen einem die Vorschläge vollkommen unbegreiflich. Auf zeitgenössische Leser wirkt der Text wie eine Provokation, die sich gegen vergewaltigte Frauen, Kinder, die Opfer sexueller Übergriffe und Frauen, die im Sexhandel untergehen, richtet.
Die Kritik am Sexualstraftaten-Ausschuss ist natürlich keine isolierte Erscheinung. Sie ist Ausdruck breiterer ideologischer Strömungen Mitte der 1970er Jahre und passt zum zeitgleichen Interesse der Medien an
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