Der Profi
Seite des Swimmingpools. Dann durchquerte sie den Gang, an dessen Ende sich die Holztreppe befand, und ging in den ersten Stock hinauf.
Die Hilfskommissarin hatte viele Stunden damit verbracht, das Haus und seine Bewohner auszuspionieren. Als sie jetzt durch dessen Inneres wanderte, überkam sie das merkwürdige Gefühl, ein Voyeur zu sein. Auf dem Treppenabsatz des ersten Stocks erblickte sie einen von Tschernekows Bodyguards. Er wirkte sichtlich betrof fen. Pure Muskelmasse, mindestens zwei Meter groß, geschätztes Körpergewicht: 120 Kilo. Der Leibwächter baute sich vor Cruz und Javi Moncada auf und versperrte ihnen den Weg. Er trug ein hautenges schwarzes Muskelshirt.
»Sie können hier nicht durch!«, stammelte er mit starkem russischem Akzent und ließ seine sämtlichen Handknöchel knacken.
Cruz betrachtete ihn gleichgültig. Sie war abgespannt und hatte noch immer den bitteren Geschmack von Zigaretten und Alkohol der vergangenen Nacht im Mund.
»Und warum können wir hier nicht durch?«, wollte Moncada wissen.
Der Mann überlegte.
»Ah …!« Er versuchte mühsam, sich eine Erklärung zurechtzulegen. »Ist Privathaus. Sie haben kein awrdyer na awbeesk … Wie heißt das auf Spanisch?«, erkundigte er sich bei einem zweiten Riesen, der sich zu ihm gesellt hatte.
Der andere Mann kratzte sich am Kopf.
»B-E-F-E-H-L«, sagte er versuchsweise. Dabei schob er die Unterlippe vor, womit er erkennen ließ, dass er dabei war, seinen Verstand in Gang zu setzen. Nach einer Weile hellten sich seine Gesichtszüge auf: » DURCHSUCHUNGSBEFEHL !«
Moncada hielt den beiden seine Dienstmarke unter die Nase.
»Kennt ihr das? Das bedeutet: ICH DARF HIER DURCH !«
Die Bodyguards rührten sich nicht vom Fleck. Ihre nur spärlich entwickelten grauen Zellen waren, wie es schien, noch immer mit der Übersetzung des korrekten Begriffs beschäftigt.
»Meine Herren«, erklärte Moncada mit gespielter Geduld. »Wir brauchen keinen Durchsuchungsbefehl. Auf dem Gelände des Wohnsitzes ist ein Mord geschehen, von Rechts wegen haben wir die Erlaubnis, hier zu durchstöbern, wozu wir Lust haben. Also lassen Sie uns jetzt bitte hinein!«, fügte er hinzu, als er sah, dass die beiden keine Anstalten machten, sich von der Stelle zu bewegen. »Sie haben im Augenblick schon genug Probleme, da müssen Sie nicht zusätzlich noch eine polizeiliche Untersuchung behindern!«
Der Leibwächter warf Cruz und Moncada giftige Blicke zu. Dann beschloss er, das schwächere Geschlecht zu attackieren.
» Shluha , Nutte!«, zischte er mit Blick auf Cruz.
Schließlich gab er den Weg frei.
Der Treppenabsatz ging über in einen großen Salon, auf den sich zwei lackierte Holztüren öffneten. (Cruz wusste, dass die eine zu einem Arbeitszimmer und die andere in die Küche führte.) Sie sah kurz ins Arbeitszimmer: ein metallisch schimmerndes Bücherregal voll zerlesener russischer Bestseller, ein Schreibtisch, auf dem ein aufgeklappter Laptop stand, ein halbgeöffneter Safe. Das kompromittierende Material war sicher längst entfernt worden. Danach warf Cruz einen Blick in die Küche, in der eine leichenblasse Hausbedienstete laut schluchzte. Cruz vermutete, dass die hysterischen Schreie, die vor ein paar Minuten im Garten zu hören gewesen waren, von ihr stammten.
Im Salon stand die Gattin des Toten, Señora Tschernekowa. Sie gab sich erstaunlich gefasst. Cruz wusste, dass der Mafioso und seine Frau eine distanzierte Beziehung geführt hatten. Er lebte für seine Geschäfte und die Callgirls, und sie gab das Geld aus. Dennoch überraschte Cruz ihre unterkühlte Wesensart. In einer Hand hielt sie ein Whiskeyglas, in der anderen eine Zigarette, auf deren Filter Spuren von Lippenstift zu erkennen waren. Wie konnte man sich zu so einem Anlass bloß die Lippen bemalen?
Neben Señora Tschernekowa stand Oberst Dratschew, der Sicherheitschef des Mafioso, zugleich ein enger Freund des Verstorbenen. Die Tschernekows hatten auch eine Tochter, die an einer der angesehensten Universitäten der USA (ausgerechnet) Rechtswissenschaften studierte.
Oberst Dratschew näherte sich den beiden Polizisten mit angespanntem Gesichtsausdruck.
»Wie kann ich Ihnen helfen, Kommissare?«, fragte er in korrektem, wenn auch etwas schwerfälligem Spanisch.
Sein eisiger Blick stand in völligem Gegensatz zur Höflichkeit seiner Worte.
Cruz überflog im Kopf, was sie über ihren Gesprächs partner wusste. Zwischen 1987 und 1989 verloren in Russland mehrere Millionen Menschen
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