Der Prometheus-Verrat
hinreichend bekannt. Vor etwas über neun Stunden hatte eine gewaltige Explosion in der Washingtoner Metrostation Dupont Circle 23 Menschen getötet und an die 100 zum Teil schwer verletzt. Die Liste der Opfer wurde von Stunde zu Stunde länger. Obwohl die Öffentlichkeit, was Katastrophen, Terroranschläge und Schulhofmassaker anging, einiges gewöhnt war, befand sie sich in einer Art kollektivem Schockzustand. Der Anschlag war im Herzen der Hauptstadt verübt worden – nur anderthalb Kilometer vom Weißen Haus entfernt, wie die CNN-Kommentatoren nicht müde wurden zu betonen.
Während der morgendlichen Rushhour war eine in einem Laptop-Gehäuse versteckte Bombe hochgegangen. Offenbar stand ein Terrorkommando hinter dem Anschlag, worauf Sprengstoff und Konstruktion der Bombe schließen ließen. Allerdings blieben die technischen Informationen in der Öffentlichkeit aus Rücksicht auf die Ermittlungen des FBI auf ein Minimum beschränkt. Gleichwohl verbreitete dieser schreckliche Anschlag, von dem alle Nachrichtenkanäle
des Landes berichteten und über den auch im Internet diskutiert wurde, ein Entsetzen, das sich von Stunde zu Stunde weiter aufzuschaukeln schien.
Die Öffentlichkeit interessierte sich insbesondere für die scheußlichsten Details: die schwangere Frau und ihre dreijährigen Zwillingstöchter, die auf der Stelle tot waren; das ältere Ehepaar aus Iowa City, das jahrelang gespart hatte, um sich eine Reise in die Hauptstadt leisten zu können; die Gruppe Drittklässler …
»Es ist mehr als ein Albtraum, es ist eine Schande«, sagte der Präsident. Die anderen Männer nickten schweigend mit den Köpfen. »Ich werde mich entweder noch heute Abend oder aber spätestens morgen mit einer Rede an die Nation wenden müssen, weiß aber zum Verrecken nicht, was ich sagen soll.«
»Mr. President«, sagte FBI-Direktor Chuck Faber, »ich kann Ihnen versichern, dass in diesem Augenblick, da wir hier beraten, nicht weniger als 75 Sonderermittler an diesem Fall arbeiten, systematisch die ganze Stadt durchkämmen und die Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei und dem ATF koordinieren. Unsere Sprengstoffexperten …«
Der Präsident unterbrach: »Ich zweifle nicht daran, dass sich Ihre Leute über die Sache hermachen wie über Sonderangebote. Keine Frage, sie sind wirklich sehr tüchtig, wenn es darum geht, terroristische Akte im Nachhinein aufzuklären. Aber ich frage mich, warum solche Anschläge nicht verhindert werden?«
Das Gesicht des FBI-Direktors lief rot an. Chuck Faber hatte sich zu Beginn seiner beruflichen Laufbahn als Staatsanwalt in Philadelphia durch unerbittliche Strenge hervorgetan und war bald zum Oberstaatsanwalt von Pennsylvania aufgestiegen. Er machte kein Hehl daraus, dass er Ambitionen auf den Posten des Justizministers hatte und sich im Vergleich zum gegenwärtigen Amtsinhaber für sehr viel fähiger hielt. In der Tat war Faber der wohl gewiefteste Verwaltungsstratege in dieser Runde. Er ließ keine Gelegenheit aus, sich auf Kosten anderer zu profilieren, war aber klug genug, sich nicht mit dem Präsidenten anzulegen.
»Sir, mit Verlaub, ich finde, Sie tun jetzt den Männern und Frauen des Büros ein wenig Unrecht«, meldete sich Richard Lanchester mit ruhiger, sonorer Stimme zu Wort. Er war ein groß gewachsener, sportlicher Mann mit silbergrauen Haaren, aristokratischen Gesichtszügen und unauffälliger Garderobe, die allerdings aus einer Londoner Maßschneiderei stammte. Für die meisten Korrespondenten des Weißen Hauses, deren Vorstellungen von exklusiver Herrenmode durch europäische Designer wie Giorgio Armani geprägt waren, kleidete sich Lanchester »altmodisch« oder gar »nachlässig«, wie es hieß.
Lanchester aber nahm solche Kommentare gar nicht erst zur Kenntnis und machte stets einen großen Bogen um die Journaille, zumal er – im auffälligen Unterschied zur Washingtoner Polit-Society – überhaupt keinen Sinn für Klatschgeschichten hatte. Trotzdem oder gerade deshalb stand Lanchester bei der Presse hoch im Kurs. Das vom Time Magazine geprägte Attribut »Der letzte aufrechte Mann Washingtons« war in den einschlägigen Kolumnen und Talkshows schon so häufig wiederholt worden, dass es fast einer stehenden Redewendung gleichkam.
»Von deren Präventionsbemühungen bekommt man nur selten etwas mit«, fuhr Lanchester fort. »Es lässt sich schließlich kaum einschätzen, was alles passiert wäre, wenn sie nicht rechtzeitig eingegriffen hätten.«
Der
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