Der Protektor (German Edition)
Sekundenbruchteile in die Augen und nagelt mich auf der Stelle fest.
Woher sollen an einem Nebeltag Lichtreflexe kommen? Ich weiß genau, was das bedeutet.
Es wird ein Zielfernrohr sein.
Keine unnötige Bewegung, nicht denken. Die Muskeln führen mich wie einen Automaten hinter einer alten Frau her, die einen Einkaufwagen schiebt. Ich beherrsche mich, aber über den Rücken kriechen mir kalte Schauer.
Sie haben sich gezeigt. Es wurde Zeit.
Es ist kein Zielfernrohr, es kann keins sein. Der andere braucht mich noch, er benötigt mich für sein Vorhaben.
Aber die aus den Tiefen hervorgekrochene Angst wächst. Sie dringt in jede Körperzelle und überschwemmt in Wellen das Bewusstsein. Nur noch ein bisschen, ein paar Schritte hinter der Frau! Zwei, drei… sechs…
Zwischen mir und dem Zielfernrohr schließen sich die Glastüren des Supermarkts, schieben sich die Eisenrahmen der Warenträger. Und ich drehe mich um, mustere zerstreut den Menschenstrom.
Auf dem Parkplatz hinter den Glasvitrinen stehen ungefähr zehn Autos. Sie sind alle leer. Nur in einem sitzt ein Mann. Er döst hinter dem Lenkrad, den Ellenbogen zum Seitenfenster herausgelegt. Es ist weit, ich kann sein Gesicht nicht erkennen.
Es ist kein Zielfernrohr. Um aus einem Auto zu schießen, braucht man anderes Werkzeug.
Die niederträchtige Angst stellt das augenblicklich fest und beginnt wegzuschmelzen, an ihre Stelle tritt Wut. Ich möchte aus meiner Deckung treten, auf den Typ losmarschieren…
Die Beine tragen mich von selbst, ich gehe über den Parkplatz, reiße die Tür auf, aus der der Ellenbogen ragt. Mit einem Hieb zerschlage ich ihm die Visage.
Natürlich tue ich nichts dergleichen. Ich habe den Supermarkt verlassen, bin aber nicht zu seinem Auto gegangen, sondern zu meinem Volvo, der brav an der Parkuhr wartet. Ich darf mir nichts erlauben. Selbst meine Miene, die ich nur mit Mühe beherrsche, muss gleichmütig bleiben. Ein zerstreuter, beschränkter und schludriger Inspecteur générale. Weder so gefährlich, dass er beseitigt werden, noch so dumm, dass man ihn nicht im Auge behalten müsste. Das ist es, was ich bin.
Ich lasse den Motor an und trete aufs Gas. Ich schlage ein, verlasse den Parkplatz, und erst als ich aufatme, fällt mir ein, dass ich nicht weiß, wo die Nebenstelle des Instituts ist. Nach der Beschreibung von Doktor Falk liegt sie außerhalb der Stadt. Alle solche Außenstellen befinden sich in möglichst großer Entfernung von der verschmutzten Stadtluft, für gewöhnlich im Gebirge. Aber hier gibt es schon keine Berge mehr, über der Stadt erheben sich die letzten felsigen Anhöhen, die zum Meer hin abfallen.
Ich fahre auf gut Glück los, über Straßen und Kreuzungen, die zu den Anhöhen hinaufführen. Die Anspannung lässt nach. Ich fahre herum, als hätte ich kein besonderes Ziel, an einer Stelle halte ich an, kaufe mir Zeitungen und erkundige mich nach der Nebenstelle.
Der Typ, der mich beschattet hat, ist verschwunden. Sein Auto ist nicht mehr zu sehen, und wahrscheinlich könnte ich es auch gar nicht sehen, denn der Nebel hat sich noch nicht ganz gehoben. Die Straße führt aufwärts, vorbei an Wochenendhäusern, und in den Kurven erblicke ich Garvaregarden unter mir in den zerfließenden Nebelschwaden. Irgendwo in dem Wasserarm heult lang gezogen eine Schiffssirene; es ist wie der Schrei eines verirrten Tieres.
Hinter einem Wochenendhaus beginnt ein schmiedeeiserner Zaun. Nach der Beschreibung könnte das die Nebenstelle sein. Der Zaun endet an einem soliden, zweiflügligen Tor, ebenfalls aus Metall. Daneben eine Tafel mit dem blauen Emblem von UNIKS und ein paar Autos.
Ich stelle den Volvo dazu und beginne ermüdende Verhandlungen mit dem Pförtner, der aus dem Kabüffchen hinter dem Tor kommt.
Vermutlich ist das ein ehemaliger Besitz, den UNIKS gekauft hat. Ein kokettes, zweigeschossiges Gebäude im Stil der Jahrhundertwende mit weißen Säulen und Basreliefs an der Vorderfront. Davor ein Park mit mächtigen Ahornen, die den Rasen mit kupferroten, feuchten Blättern übersät haben. Ruhig und still, in Erinnerungen an den Sommer und das Meer versunken.
Inzwischen erfüllt der Pförtner das Ritual – ein Telefongespräch mit jemandem, den er nur schwer findet, Überprüfung meiner Papiere, Eintragung in irgendein Buch in dem Kabüffchen. Schließlich sagt er: „Bitte! Frau Engström wird Sie empfangen.“
Ich gehe durch die Allee und sehe, dass man mir wirklich entgegenkommt.
Frau Engström ist
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