Der Puppenfänger (German Edition)
mich doch, wenn du glücklich bist.«
»Ich dachte, es wäre vielleicht besser. Du bist immer so –! So pessimistisch! Ich hatte Angst, du könntest mich irgendwie negativ beeinflussen.«
»Beeinflussen? Warum sollte ich etwas gegen Tommy Orthes sagen? Ich kenne ihn doch gar nicht.« Heide stand auf, ging zum Fenster und schaute in den Garten. Beates Elternhaus war in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts gebaut worden. Es befand sich am Ende einer Sackgasse und war umgeben von einem riesigen, im hinteren Teil verwilderten Grundstück, das sich jetzt durch die großflächigen Glasscheiben in seiner vollen Frühlingspracht präsentierte. Sie setzte sich zurück an den Tisch, griff nach der Warmhaltekanne und schenkte Kaffee nach.
»Entschuldige, ich hab es nicht böse gemeint. Wirklich nicht«, sagte Beate kleinlaut.
»Nein?«
»Nein, glaube mir! Ich nehme an, man hat im Dorf schlecht über Gerald gesprochen«, klagte sie mit einer weinerlichen Stimme. »Du darfst nicht alles glauben, was sie dir erzählen. Die meisten von ihnen sind neidisch auf Gerald. Und bitte, Heide, nimm nicht an, ich wäre böse mit dir, weil ich so lange auf dich warten musste. Ich habe dir gesagt, dass ich dich für deine Bemühungen bezahlen werde. Aber du reagierst genauso starr wie die Polizei und bewegst dich gedanklich keinen Zentimeter vom Fleck, um Gerald zu finden. Ich denke, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.«
Heide wurde langsam, aber sicher ungehalten. Für sie stellte sich die Sachlage gegenteilig dar. Eine frühere Kommilitonin hatte sie um einen Gefallen gebeten, und sie war bereit gewesen, ihr zu helfen. Beate zuliebe hatte sie zwei geschäftliche Termine absagen müssen und sich mit Dieter gestritten. Bisher hatte sie keinen Moment darüber nachgedacht, für die anfallenden Recherchen eine Rechnung zu schicken. Sie wollte nicht kleinlich sein. Allerdings durfte sie erwarten, dass Beate sie zuvorkommend behandelte.
»Versteh mich bitte richtig, Heide. Ich bin dir sehr dankbar, dass du gekommen bist. Seitdem Gerald verschwunden ist, weint Simone ohne Unterbrechung und ihre Kinder schließen sich ihr an. Wenn meine Schwester unglücklich ist, geht es mir auch nicht gut. Irgendwie macht mich das alles sehr traurig. Ich werde das Gefühl nicht los, dass Gerald nicht mehr lebt.« Beate schluchzte trocken auf, versteckte das Gesicht in den Händen und weinte laut und anhaltend.
Mit einem Überschwang an gezeigten Empfindungen hatte Heide bereits als Kind ihre Schwierigkeiten gehabt, und Beates unkontrollierter Tränenausbruch erschien ihr übertrieben. Obendrein wurde sie den Eindruck nicht los, dass ihre Bekannte Theater spielte. Sie stand auf und streichelte sachte, aber unbeholfen Beates Rücken. »Beruhige dich! Soll ich dir ein Glas Wasser holen?«
Noch bevor Heide die Küche erreicht hatte, endete Beates Weinattacke mit einem tiefen Seufzer, genauso plötzlich, wie sie begonnen hatte. Beate Buttenstett war stets ein wenig unordentlich gewesen, doch das Durcheinander, das sich Heide in der großzügigen Wohnküche darbot, hatte sie nicht erwartet. Es wirkte auf sie, als habe ihre Gastgeberin seit Tagen weder aufgeräumt noch ein Schwammtuch in den Händen gehalten. Geschirr stapelte sich auf den Arbeitsflächen, und mehrere benutzte Töpfe standen auf den Kochplatten. Der Fliesenboden war glitschig und schmuddelig und die Tischdecke, die einen riesigen Holztisch zur Hälfte abdeckte, übersät mit undefinierbaren Flecken. Hinter einem Stapel benutzter Teller auf der Spüle gammelten Rotweinreste in dreckigen Gläsern, die, gemeinsam mit einem benachbarten, randvollen Aschenbecher, einen widerlich abgestandenen Tabak- und Alkoholgeruch verströmten.
Nachdenklich betrachtete Heide das Chaos. Ihr fiel ein, dass auch Beate heute nicht besonders adrett aussah. Mit den strähnigen, ungewaschenen Haaren und dem abgesplitterten Nagellack ähnelte sie auf merkwürdige Weise ihrer Küche. Die braune, verbeulte Jogginghose, die sie trug, eben gut genug für die Gartenarbeit, und auch der dunkelblaue Pullover vermittelte den Eindruck, sie habe vergessen, ihn in die Altkleidersammlung zu geben. Hoffentlich hatte die Pädagogin Beate Buttenstett sich in diesem beklagenswerten Aufzug nicht vor die Augen ihrer Schüler getraut. Heide suchte in einem Hängeschrank nach einem Glas, fand eines, ließ Wasser einlaufen und ging zurück in den Wintergarten.
»Hast du heute gearbeitet, oder hast du geschwänzt, Beate?«
»Ich
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