Der Puppenfänger (German Edition)
ihn gekocht und am Abend seinem Saxofonspiel gelauscht. Ein anderer war regelmäßig mit Beates Auto unterwegs gewesen, ohne jemals den Tank zu füllen. Sie hatte für ihn seitenlange Referate geschrieben, derweil er auf ihrem Bett lag und ihre Zigaretten rauchte. Beate hatte ihr unterwürfiges Verhalten stets mit einer stark ausgeprägten Sehnsucht nach Liebe begründet.
Aufgewachsen mit zwei älteren Brüdern, hatte Heide früh gelernt, sich durchzusetzen, und auch ihre Fäuste eingesetzt, sobald es ihr notwendig schien. Deswegen hatte ihr schon damals jegliches Verständnis dafür gefehlt, dass Beate wie ein Mäuschen in jede aufgestellte Männerfalle tappte, jedem bebrillten dunklen Kater unbedarft in die ausgebreiteten Arme stolperte und sich von ihm fressen ließ. Energisch schob Heide ihre Überlegungen zu Beates Liebesleben beiseite. Gott sei Dank war sie selbst bisher nur ein einziges Mal auf eines dieser treulosen männlichen Exemplare hereingefallen.
Heide, der konzentriertes, logisches Denken am leichtesten fiel, wenn sie sich in einem heißen Schaumbad aalte, stellte an diesem Nachmittag fest, dass das Faulenzen auf einer Gartenliege ebenso denkergiebig sein konnte wie der Aufenthalt im Badewasser. Sie beschloss, achtsam zu sein und sich der Wahrheit behutsam zu nähern. Einige Puzzleteile in der Vermisstensache Schöllen passten nicht ineinander, andere fehlten. Heide war zwar noch nicht in der Lage, im Einzelnen zu erklären, welche Teilchen nicht ineinandergriffen, aber ihr Instinkt schlug Alarm und verkündete durch ein unangenehmes Kribbeln im Bauch, dass sie vorsichtig sein musste, weil Gefahr drohte. Bei ihrer Arbeit legte Heide stets Wert darauf, die Redensart Wo du Rauch siehst, ist auch Feuer nicht zu vergessen, und damit war sie bisher gut gefahren. Dass es rund um Gerald Schöllen kräftig qualmte, würde sogar einem Blinden auffallen. Tante Martha hatte kein gutes Haar an Simones Mann gelassen. Die alte Dame gehörte zu den wenigen Menschen im Dorf, denen Heide auf Anhieb vertraut hatte, ohne sich erklären zu können, warum. Dazu kam Dieters Information über Schöllens Gefängnisaufenthalt. Illegaler Handel mit Doping- und Potenzmitteln war eine nicht zu unterschätzende Straftat.
Die Kidnapper – wenn sie denn tatsächlich existierten – hatten bisher keine Forderungen gestellt, und die Rollen in diesem vermeintlichen Entführungsdrama waren nicht so verteilt, wie man es erwarten durfte. Beate, die nicht direkt betroffen war, verhielt sich, als wäre ihr eigener Ehemann entführt worden. Unterdessen wurde in dem Haus ihrer Schwester Simone laut Musik gehört, herzhaft gelacht und Männerbesuch empfangen, der – zumindest dem Anschein nach – nicht die Eingangstür benutzte. Hatte Simone Schöllen etwa in ihrem Keller eine Leiche vergraben, wie man so treffend sagte? Schließlich wusste Heide aus eigener Erfahrung, dass man dort, wo man Ungewöhnliches vermutete, meistens nur ein wenig buddeln musste, um fündig zu werden. Stellte sich lediglich die Frage, wer die Überraschung ausgraben würde. Die Polizei und damit Dieter oder sie selbst.
*
Michel Haila stand vor dem begrünten Randstreifen, auf dem die Leiche lag, und wartete darauf, dass sein Kollege Karel Friedrichs ihm grünes Licht gab und ihn dichter an den Fundort gehen ließ. Kriminaloberkommissar Friedrichs von der Spurensicherung hatte im Erkennungsdienst das Sagen. Er hatte Bretter auslegen lassen. Jetzt umrundete er den Fundort und fotografierte dabei systematisch erst die Leiche und anschließend die umliegende Fläche. Nachdem er fertig war, reichte er den Fotoapparat an einen Kollegen weiter und winkte Haila zu sich. Beide hockten sich vor den Toten.
Michel, der sich wegen des widerlichen Geruchs den Ärmel seiner Wildlederjacke vor Mund und Nase gehalten hatte, stand auf und steckte die Hände in die Taschen seiner Jeans. »Hast du die Schmeißfliegen in der Wunde am Hinterkopf gesehen, Karel? Ich nehme an, er wurde erschossen. Die Kugel drang von vorne in den Kopf ein und trat hinten wieder aus. Ich bin zwar kein Mediziner, aber ich vermute, die Leiche liegt hier mindestens seit letzter Nacht. Allerdings denke ich auch, dass der Mann bereits seit Tagen tot ist.«
»Wir können im Moment davon ausgehen, dass er sich diese Barbarei nicht selbst angetan hat. Und er ist nicht hier gestorben. Ich gehe jede Wette darauf ein, dass man ihn auf den Grünstreifen gelegt hat, nachdem man ihn getötet hatte«, erwiderte
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