Der Puppenfänger (German Edition)
Kopf. Über die Gespräche, die er und Michel mit ihr, ihrem Lebensgefährten und ihrem Sohn geführt hatten, waren die Kollegen bereits informiert. Frau Wanner und Dr. Heidmann hatten zwar angegeben, dass sie – gemeinsam mit Richard Wanner – zur fraglichen Zeit den Dachboden aufgeräumt hätten, trotzdem wurde Dieter das Gefühl nicht los, etwas Wichtiges zu übersehen. Möglicherweise war es die Atmosphäre in dem Haus gewesen, die er nicht wieder loswurde und die ihn beunruhigte. Leid, Trauer, Stille hatte er gespürt, aber auch … Was? Stärke? Kraft? Lebensmut? Ein Unfall, bei dem drei der engsten Angehörigen ums Leben gekommen waren. Wie verkraftete man so etwas, wie lebte man damit weiter? Er sah auf und ließ den Blick über die Gesichter seiner Kollegen schweifen. Bis auf Michel hatte keiner von ihnen einen ähnlich harten Schicksalsschlag hinnehmen müssen.
»Anton, ich hatte dich gebeten festzustellen, ob es Auffälligkeiten bezüglich des Verkehrsunfalls gab, bei dem Frau Wanner und ihre sechsjährigen Töchter Sabine und Susanne am 12. April 2009 tödlich verunglückten.«
Anton nickte zustimmend. Er schlug eine Akte auf, sah allerdings nicht hinein, sondern erwiderte Dieters Blick, als er antwortete: »Es existiert tatsächlich die Zeugenaussage einer 82-jährigen Frau, die sich zum Zeitpunkt des Unfalls mit ihrem Sohn auf einer Ackerfläche in unmittelbarer Nähe des Geschehens aufhielt. Sie will gesehen haben, dass ein zweites Fahrzeug in den Unfall verwickelt war.«
»Wurde diesem Hinweis nachgegangen?«, wollte Dieter wissen.
»Die Ermittlungen wurden eingestellt, als man erfuhr, dass die Zeugin seit längerer Zeit unter einer Altersdemenz litt und der Sohn die Angaben seiner Mutter nicht bestätigen konnte. Allerdings …«
»Hast du versucht, ein Gespräch mit der alten Dame zu führen?«, unterbrach Dieter ihn.
»Ich habe mich heute Mittag telefonisch mit dem Sohn in Verbindung gesetzt. Dabei habe ich erfahren, dass seine Mutter verstorben ist. Immerhin hat er seine Aussage − kein zweites Fahrzeug bemerkt zu haben − noch einmal bestätigt. Doch er schränkte sie insoweit ein, dass er angab, er habe zum Zeitpunkt des Unfalls mit dem Kopf über dem laufenden Motor seines Traktors gehangen, während seine Mutter sich in der Fahrerkabine aufhielt. Von dort aus hatte sie eine wesentlich bessere Sicht auf die Straße.«
»Wie kam es genau zu diesem Unfall?«, fragte Michel Haila leise und mit unbeweglichem Gesicht. »Richard Wanner erzählte uns heute Morgen, seine Frau sei auf einer ansonsten schnurgeraden Straße in einer leichten Linkskurve von der Fahrbahn abgekommen.«
Anton, der bei Michels Frage sofort an dessen verstorbene Frau Barbara dachte, räusperte sich und sah in seine Mappe. »Die Aussage deckt sich mit dem, was hier festgehalten worden ist. Nachdem das Auto von der Straße abgekommen war, prallte es gegen einen Baum. Auf den Fotografien, die am Unfallort aufgenommen wurden, sieht man, dass der Wagen buchstäblich halbiert wurde.« Anton klappte die Mappe zu und reichte sie Michel.
»Hast du die Aussage der Zeugin vorliegen?«, wollte Dieter wissen.
»Ja, sie ist abgeheftet, hinter dem gelben Post-it.«
Michel schlug die Mappe erneut auf, blätterte darin, bis er das Gesuchte gefunden hatte und zitierte: » Das kleine blaue Auto fuhr viel zu schnell, das größere schwarze immer hinterher. Ich dachte, jetzt fährt das schwarze auf das blaue hinten drauf, so dicht war es dran. Und plötzlich flog das kleine Auto aus der Kurve. Das sah aus wie im Film, und dann knallte es gegen den Baum. Ich hab nur geschrien und auf das blaue Auto und den Baum geguckt, und als ich wieder auf die Straße gesehn hab, da war das große schwarze Auto verschwunden. «
»Dieser Unfall muss in keinem Zusammenhang mit dem Mord an Laxhoff stehen«, gab Torben zu bedenken. »Und mit der Beschreibung großes, schwarzes Auto hat sie nicht zwangsläufig über Schöllens Cayenne gesprochen.«
»Nein, das muss nicht sein«, stimmte Michel zu. »Es könnte ein Zufall sein.« Er presste die Lippen aufeinander, schloss die Mappe und sah Dieter an, der seinen Blick stirnrunzelnd erwiderte, sich mit dem Zeigefinger über den Nasenrücken fuhr und damit jedem im Raum zu verstehen gab, dass er an diese Sorte Zufälle nicht so ohne weiteres glauben wollte.
»Man hat damals an dem Autowrack keine Spuren eines anderen Wagens gefunden«, sagte Friedrichs. Doch wie penibel und wie lange hatte man danach
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