Der Purpurkaiser
verschiedene gewundene Treppen hinab und Chalkhills Nervosität stieg, als ihm klar wurde, wohin sie unterwegs waren. Sie näherten sich eindeutig dem Verlies des Hauses – Zellen, die um eine zentrale Folterkammer im klassischen Herrenhausstil herumgebaut waren. Bei Hairstreak wusste man nie. Gerade war er noch die Freundlichkeit in Person, im nächsten Moment lag man auf der Folterbank und hatte einen rot glühenden Feuerhaken im –
Hairstreak nahm einen Schlüssel von einem Wandhaken, öffnete eine Zellentür und trat zurück. Chalkhill spähte voller Furcht hinein. Die Zelle war klein, dunkel und fensterlos und drinnen roch es nach Tod. War das das Ende? Er war ja selbst schuld daran, keine Frage. Er hätte nie auf diesen blöden Wurm hören dürfen.
Chalkhill schluckte. »Euer Lordschaft – «, setzte er an. Und brach ab. Da war schon jemand in der Zelle. An der einen Wand hockte eine heruntergekommene Gestalt. Von ihr musste dieser Geruch ausgehen.
»Und? Kennt man sich?«, fragte Hairstreak munter.
Chalkhill hatte keine Ahnung, worauf er hinauswollte, dann wurde ihm klar, dass Hairstreak die Gestalt in der Zelle meinte. Chalkhill riskierte einen genaueren Blick. Sah ganz nach einem alten Obdachlosen aus. Vielleicht ein Krimineller. Oder jemand, der Hairstreak irgendwann quer gekommen war und sich nun einer täglichen Routine aus Folter, Hunger und Schlafentzug ausgesetzt sah. Aber um wen es sich handelte, vermochte Chalkhill nicht zu sagen. Vermutlich spielte es auch gar keine Rolle: Hairstreak wollte ihm wahrscheinlich nur zeigen, was mit jemandem passierte, der seinen Ärger auf sich zog – ein bisschen Druck aufbauen, bevor er ihn des Verrats beschuldigte. Warum, warum nur, hatte er auf den Wurm gehört?
»Nein?«, fragte Hairstreak. »Hoch mit dem Kopf, wird’s bald!«
Einen Moment lang war Chalkhill überzeugt, dass Hairstreak ihn meinte, dann richtete die erbärmliche Gestalt in der Zelle sich langsam auf. Chalkhill schnappte hörbar nach Luft. Er sah in die schmerzerfüllten Augen von Apatura Iris, dem jüngst verstorbenen Purpurkaiser.
»Erkennen Sie ihn?«, fragte Hairstreak.
Chalkhill nickte wortlos.
»Darum sind Sie hier, Jasper. Wie das Schicksal so spielt.«
Chalkhill warf einen Blick zu Cossus hinüber, der ihn ausdruckslos anstarrte. Er sah zu Boden. Er wollte nicht noch einmal zum Purpurkaiser schauen, der einen wirklich grauenvollen Anblick bot. Und Hairstreak anzusehen, traute er sich nicht.
»Begreifen Sie, was hier vor sich gegangen ist?«, fragte Hairstreak.
Chalkhill schüttelte den Kopf ohne aufzusehen.
»Eine Wiedererweckung!«, fuhr Hairstreak ihn an. »Jeder Dummkopf kann die Anzeichen einer Wiedererweckung erkennen.«
»Nun ja«, murmelte Chalkhill. »Ich meine, dass er wiedererweckt worden ist, hab ich mir schon gedacht…« Das Problem an Hairstreak war, dass man nie wusste, worauf er hinauswollte, bis es zu spät war. Dann steckte man entweder bis zum Hals in der Scheiße oder war tot. Chalkhill schaffte es gerade noch, ein verzweifeltes Aufschluchzen zu unterdrücken.
»Das ist ja auch das Problem, nicht wahr?«, sagte Hairstreak. »Ein Blick und man weiß Bescheid.« Er zog einen kurzen Leuchtstab aus der Innentasche seiner Jacke und zeigte damit auf die Gestalt in der Zelle. Der Purpurkaiser wich vor dem Licht zurück. »Sehen Sie? Wir behaupten, Apatura sei überhaupt nicht gestorben. Wir sagen, er sei nur ins Koma gefallen, aber nun sei er wieder aufgewacht und in der Lage, Entscheidungen über die Zukunft des Reiches zu fällen. Wir sind bis jetzt damit durchgekommen, weil wir ihn die meiste Zeit über versteckt halten und nur wenigen Leuten einen kurzen Blick gestattet haben, aber glauben Sie, unsere Geschichte wird bestehen können, wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigen muss?«
Welche Antwort wollte Hairstreak von ihm? Ein falsches Wort an dieser Stelle konnte Gefängnis oder Tod oder Folter bedeuten… oder sonst etwas. Chalkhill sah verzweifelt zu Cossus, aber der war auch weiterhin keine Hilfe. Chalkhill konnte nicht anders, als wieder zu Hairstreak zu sehen, wie ein Kaninchen vor der Schlange.
»Ja«, sagte er. »Und… nein.« Er wartete, sein Magen ein Stein und die Eingeweide Wasser.
»Nein, natürlich nicht«, sagte Hairstreak ungeduldig. »Man würde ihm die Wiedererweckung sofort ansehen. Und da Wiedererweckung dummerweise illegal ist, wäre jede Verkündung, die er machen würde, ebenfalls illegal. Lassen Sie mich eines
Weitere Kostenlose Bücher