Der Purpurkaiser
folgte er ihr, bevor die Tür zufiel.
Vor ihnen lag eine Wartezone mit Linoleum auf dem Boden, Stühlen auf der einen Seite und einem Tresen auf der anderen. Ein uniformierter Polizeisergeant stand am Tresen. Hinter ihm tippte eine junge Frau mit sehr kurzen schwarzen Haaren auf einer Computertastatur vor sich hin. Drei Stühle waren besetzt – zwei von einem älteren Ehepaar, der dritte von einem Mann mittleren Alters, der vergeblich versuchte wie Elvis Presley auszusehen. Niemand schenkte Blue oder Henry die geringste Beachtung.
»Na denn«, sagte Blue munter. »Sehen wir mal zu, dass wir Mr Fogarty finden.«
»Wir könnten den Polizisten fragen«, schlug Henry vor. Eigentlich wollte er bloß wieder raus hier, sich zu Hause verkriechen und in Frieden sterben.
Blue sah ihn seltsam an durch den Nebel, der ihn umwirbelte. »Soll das ein Witz sein?«
Henry schüttelte den Kopf. »Nein. Wieso?« Er hielt sich rasch an der Rückenlehne eines Stuhls fest. Den Kopf zu schütteln war eine sehr dumme Idee gewesen.
»Wozu machen wir uns erst unsichtbar, wenn wir dann zum Tresen marschieren und fragen?«
Der Nebel klärte sich ein wenig. Henry starrte sie an und öffnete den Mund. »Unsichtbar?«, wiederholte er.
»Was meinst du denn, wozu dieser Kegel da war?«
»Wir können unmöglich unsichtbar sein. Ich kann dich total gut sehen.« Das mit dem total gut traf nicht ganz zu, weil ihm immer noch alles vor den Augen verschwamm, aber sehen konnte er Blue jedenfalls.
»Na klar kannst du mich sehen. Ich kann dich sehen und du kannst deine Hände sehen und ich kann meine Füße sehen, weil wir nämlich beide unsichtbar sind«, sagte Blue in dem Tonfall, mit dem man zu einem unwissenden Kind spricht, »und versuch bitte leise zu sprechen – der Zauber dämpft Geräusche, aber wenn du zu laut bist, kann man dich hören. Und pupsen solltest du auch nicht mehr – die Leute werden sich fragen, wo der Gestank herkommt.«
»Ich hab nicht gepupst!«, sagte Henry empört. Und laut. Er senkte die Stimme. »Wirklich nicht.«
»Also, irgendjemand hat aber.« Damit schien ihr Interesse daran erschöpft, denn sie fragte: »Wo werden sie Mr Fogarty festhalten?«
»Weiß ich doch nicht«, sagte Henry ein wenig streitlustig. Er war nur ein einziges Mal auf einer Wache gewesen, wegen eines fehlenden Rücklichts an seinem Fahrrad.
»Na ja, eher hinten oder durch diese Tür da? Oder haben sie ein eigenes Gebäude dafür?«
»Weiß ich nicht!«, sagte Henry.
Hinter ihnen ging die Tür auf und zwei Polizisten kamen mit einem mürrischen Jugendlichen in abgewetzter Lederjacke herein. Sie hielten ihn fest bei den Armen gepackt. Der Sergeant öffnete wortlos die Tresenklappe und die Constables eskortierten den Jugendlichen durch eine Tür nach hinten.
»Das war ein Gefangener«, sagte Blue. »Das war ganz bestimmt ein Gefangener. Dann müssen die Zellen hinter dieser Tür dort liegen.«
Sie hatte wahrscheinlich Recht, aber Henry bezweifelte, dass ihnen das weiterhalf. Der Sergeant hatte die Tresenklappe wieder geschlossen, aber viel schlimmer war, dass die beiden Constables auch die Tür hinter sich zugemacht hatten. Unsichtbarkeit hörte sich toll an, bloß konnte man eigentlich nirgendwohin, ohne dass es so aussah, als ob Türen von alleine aufgingen. Er wollte etwas sagen, aber dann krampfte sein Magen.
Blue sagte: »Komm!«
Zu Henrys großem Schreck nahm sie Anlauf, sprang über den Tresen und landete geschickt – und leise noch dazu – neben dem Sergeant. Er warf nicht einmal einen winzigen Blick in ihre Richtung. »Jetzt du«, sagte sie und winkte Henry aufmunternd heran.
Ihm rutschte das Herz in die Hose. Er war nie besonders sportlich gewesen, nicht einmal, wenn es ihm gut ging. Wenn er Blue das nachzumachen versuchte, konnte er nur irgendwo hängen bleiben und sich langlegen.
»Henry – «, sagte Blue ungeduldig.
Er schlurfte voller Scham zum Tresen. Nie ging irgendetwas einfach mal glatt. Er konnte da nicht rüberspringen, aber er konnte auch unmöglich zulassen, dass Blue Fogarty allein rettete. Er wich ihrem Blick aus und kletterte vorsichtig auf den Tresen. Er hielt den Atem an, um möglichst wenig Geräusche zu machen. Auf dem Tresen war nicht viel Platz, und so konnte es gar nicht anders sein, als dass er gleich diesen Teepott da umwarf, es konnte auch gar nicht anders sein, als dass Blue ihn jetzt für den totalen Schwächling hielt, verglichen mit den Sportlertypen, auf die sie sonst so stand – aber anders
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