Der Purpurkaiser
seine Ästhetik beeindrucken. Wie ein riesiges gedrungenes Ungeheuer hockte er auf dem Hügel im Zentrum der Insel. Eine solche im alten zyklopischen Stil erbaute Feste sollte vielmehr dem Feind Furcht einflößen. Der Herzog von Burgund war davon sehr angetan. Er wusste gute Militärpsychologie zu schätzen.
Wie er erwartet hatte, kamen ihm Wachsoldaten entgegen, sobald er sich dem Eingang zum Palastgarten näherte. Auf der Hut zu sein war die oberste Pflicht für jeden Wachsoldaten, vor allem nach Einbruch der Dunkelheit. Der Captain erkannte ihn natürlich, behandelte ihn jedoch nicht anders als andere Besucher.
»Zweck Eures Besuches, Hoheit?«
»Ein Gespräch mit dem designierten Purpurkaiser.«
»In welcher Angelegenheit, Hoheit?«
»Ich habe eine Botschaft von Lord Hairstreak für ihn.«
»In schriftlicher oder mündlicher Form?«
»Mündlich.«
»Wenn ich diese Nachricht für Euch weiterleiten dürfte?«
»Sie ist ausschließlich für Prinz Pyrgus’ Ohren bestimmt.«
Der Captain zuckte die Schultern, als hätte er nichts anderes erwartet. »Seid Ihr bewaffnet, Herzog?«
Hamearis zeigte auf seine verplombte Axt. »Wie Sie sehen.«
Der Captain beugte sich vor, um die Plombe in Augenschein zu nehmen, dann zog er ein kleines Werkzeug aus der Tasche und brachte eine zweite an. »Bitte legt den Gürtel ab und tretet durch den Torbogen an der linken Seite des Haupteingangs, Hoheit.«
Den Gürtel abzulegen hieß, seine Waffe abzulegen. »Ich bin der Herzog von Burgund«, sagte er ebenso förmlich wie entschieden. »Niemand darf mich ohne angemessenen Grund meiner Axt berauben.«
»Sie wird Euch drinnen sofort wieder ausgehändigt werden«, sagte der Captain freundlich.
Hamearis sah ihn finster an und fragte sich, was das sollte, aber dies war nicht der richtige Moment für einen Streit. Er schnallte seinen Gürtel ab, komplett mit der verplombten Axt, und händigte ihn dem Captain aus.
»Tragt Ihr noch weitere Waffen bei Euch, Hoheit?«
»Nein«, log Hamearis.
»Dann bitte durch den Torbogen, Hoheit.«
Hamearis schritt durch den Torbogen. Sofort heulte ein Alarm los. Binnen Sekunden war er von Soldaten mit blank gezogenen Schwertern umstellt. Hamearis hob lächelnd die Hände und wich zurück. Eine leise Ahnung sagte ihm, was passiert war, und wenn er damit richtig lag, war es wirklich eine Sensation. Ihm war absolut kein Zauber bekannt, der so etwas vermochte.
Der Captain trat erneut heran. »Vielleicht haben Eure Hoheit eine Waffe vergessen…?«, fragte er höflich.
Es war genau, wie Hamearis vermutet hatte: Der Torbogen war mit irgendeinem Zauber überzogen, der seinen Dolch erspürt hatte. Er händigte ihn dem Captain aus.
»Vielen Dank, Hoheit. Ihr werdet ihn beim Verlassen des Palastes zurückerhalten. Jetzt Euer Diener, bitte.«
Der Kapuzenmann durchschritt den Bogen ohne den Alarm auszulösen. Hamearis lächelte leicht vor sich hin, dann ging er weiter zum Palast. Der verzauberte Torbogen war vermutlich das Werk des neuen Torhüters Fogarty. Wenn das stimmte, hatte der Zauberer aus der Gegenwelt seinen Wert mit einer einzigen Erfindung unter Beweis gestellt. Waffen erspürende Magie war ein unglaublicher Fortschritt, dessen Wert gar nicht hoch genug einzuschätzen war. Vielleicht sollte er sie seinem alten Freund Hairstreak gegenüber gar nicht erwähnen. Vielleicht sollte er lieber zusehen, dass er die neue Technologie für sich behielt, wenn die Nachtelfen den Purpurpalast übernahmen.
Und zusehen, dass der Zauberer Fogarty davon überzeugt werden konnte, für das Haus Lucina zu arbeiten.
Zwanzig
F ogarty streckte die rechte Hand aus, mit der Handfläche nach unten. Sie zitterte. Nicht zu fassen! Er war immer stolz darauf gewesen, dass er sie ruhig halten konnte, selbst wenn ihn seine Arthritis noch so quälte. Es war lachhaft, in seinem Alter zittrig zu werden; aber lag es wirklich am Alter, dass er jetzt zitterte?
Er hatte keine Ahnung, woran es lag. Oder besser gesagt: er wusste genau, woran es lag. Es war nur so, dass man deshalb in seinem Alter schon mal gar nicht ins Zittern kam.
So durcheinander war er zuletzt in seiner Jugend gewesen.
Und so kam er sich auch jetzt vor – wie in seiner Jugend. Am liebsten wäre er losgezogen, ein Liedchen auf den Lippen, und hätte Blumen gepflückt und ähnlich albernes Zeug gemacht. Ein Gedanke traf ihn wie ein Schlag. Vielleicht fing ja so die Altersdemenz an. Die wurde doch auch »zweite Kindheit« genannt. Am Ende sabberte
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