Der Rache kaltes Schwert - Crombie, D: Rache kaltes Schwert - And Justice there is None
– wahrscheinlich lief sie gerade in einem aufregenden Hundetraum herum.
Was war nur aus ihr geworden, fragte Bryony sich – eine Frau, die auf die dreißig zuging und als einzigen Bettgenossen einen großen, zotteligen Hund hatte?
Dieser Gedanke führte sie jedoch geradewegs zu Marc, und das Thema war für die frühen Morgenstunden einfach zu bedrückend. Besser, sie dachte über ihre kurze Karriere als Mordverdächtige nach, sagte sie sich in einem Anflug von Galgenhumor. Dieser aalglatte Sergeant mit dem Schulbubengesicht, der in Begleitung von Superintendent Kincaid aufgekreuzt war, hatte sie derart provoziert, dass sie sich wie eine keifende Hexe aufgeführt hatte – und das Schlimmste war, dass sie sich aus unerfindlichen Gründen irgendwie schuldig gefühlt hatte. Und jetzt, obwohl ihre Familie natürlich ihre Version bestätigt hatte, musste sie mit der Erinnerung an diese Szene leben – daran, wie dieser Polizist ihr mit seinen Fragen so zugesetzt hatte, dass sie vor Wut und Erniedrigung nur noch hatte stammeln können.
Sie wusste, dass Gavin die verdammten Fotos in der Toilette verbrannt hatte – dieser Mistkerl. Und sie fand es auch nicht sonderlich schwer, sich vorzustellen, dass Gavin Dawn erpresst oder es zumindest versucht hatte. Aber sie konnte einfach nicht glauben, dass er Dawn ermordet haben sollte – sie hätte nicht weiter jeden Morgen aufstehen und für ihn arbeiten können, wenn sie ihm so etwas zugetraut hätte.
Das heiße Wasser aus dem Boiler begann unter Glucksen und Geklapper in den Heizkörper zu strömen, und einen Augenblick später hörte sie, wie die Kaffeemaschine sich mit einem Klicken einschaltete. Nein, natürlich hatte Gavin Dawn nicht getötet, dachte sie, als sie die Decke zurückschlug. Es musste einfach eine andere Erklärung geben.
Eine Stunde später, ein wenig gestärkt durch eine heiße Dusche und einen ebensolchen Kaffee, griff sie in ihre Manteltasche, um ihre Schlüssel herauszuholen, und fand die Tasche leer. Nachdem sie eine Weile ohne Erfolg darin herumgewühlt hatte, hielt sie den Mantel schließlich verkehrt herum und schüttelte ihn. Nichts. Sie hatte die Wohnung nicht abgeschlossen, als sie nach dem Aufstehen mit Duchess Gassi gegangen war, aber sie hatte ganz bestimmt am Abend zuvor die Tür mit ihrem Schlüssel aufgesperrt – vielleicht hatte sie ja den Bund nur irgendwo anders abgelegt?
Ihre Panik verstärkte sich mit jeder in Frage kommenden Stelle, an der sie vergeblich nachsah. Es war nicht so sehr die Tatsache, dass sie die Wohnung nicht abschließen konnte – Duchess konnte beeindruckend bellen, und wenn irgendjemand mutig genug war, den Hund zu ignorieren, dann würde er immer noch nicht viel Stehlenswertes vorfinden.
Aber ohne Schlüssel kam sie nicht in die Praxis, und das war das Entscheidende. Der Gedanke, Gavin anrufen zu müssen, um ihn zu bitten, von Willesden herzukommen und ihr seine Schlüssel zu geben, ließ sie mit neuer Energie ihre Suche fortsetzen.
Erst nachdem sie zum dritten Mal die ganze Wohnung abgesucht hatte, fielen ihr die Ersatzschlüssel in der Küchenschublade ein. Doch so gründlich sie die Schublade auch absuchte, es kamen keine Schlüssel zum Vorschein. Vollkommen ratlos setzte sich Bryony erst einmal hin – und aus dieser Perspektive sah sie plötzlich unter Duchess’ Schlafmatte etwas metallisch Glänzendes hervorlugen. Die Hündin sah ihr zu, wie sie die Schlüssel hervorzog, und wedelte unschuldig mit dem Schwanz.
»Du hast dich doch nicht plötzlich in eine diebische Elster verwandelt, oder, mein Mädchen?«, sagte Bryony und drückte Duchess erleichtert an sich. Die Schlüssel mussten ihr aus der Tasche gefallen und dann durch einen Fuß- oder Pfotentritt
unter die Matte befördert worden sein. Duchess spielte schon mal ganz gerne mit irgendwelchen kleinen Gegenständen Fußball.
Aber wo waren die Schlüssel aus der Küchenschublade abgeblieben? Für ihr Verschwinden wollte Bryony absolut keine Erklärung einfallen.
Sie wusste, dass es definitiv nicht ihr Tag war, als sie an der Praxis ankam und sah, dass Gemma James vor dem Eingang mit Geordie auf sie wartete. Gemma war der letzte Mensch, dem sie in diesem Moment begegnen wollte.
»Hallo, Bryony! Tut mir Leid, dass ich so früh und ohne Termin hier auftauche, aber mit Geordies Auge stimmt irgendwas nicht.«
Der Hund legte den Kopf schief und sah Bryony schwanzwedelnd an. Sie konnte erkennen, dass sein linkes Auge tatsächlich rot und
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