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Der Rache kaltes Schwert - Crombie, D: Rache kaltes Schwert - And Justice there is None

Der Rache kaltes Schwert - Crombie, D: Rache kaltes Schwert - And Justice there is None

Titel: Der Rache kaltes Schwert - Crombie, D: Rache kaltes Schwert - And Justice there is None Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Sechzigern
     
     
    Sie war nie besonders kräftig gewesen, doch nachdem sie in das Zimmer in der Colville Terrace gezogen war, verlor Angel rapide an Gewicht. Zum Teil lag es daran, dass es ihr an Geld mangelte, denn mit ihrem Lohn kam sie nicht so gut aus, wie sie erwartet hatte; zum Teil auch daran, dass der Gaskocher in ihrem Zimmer allenfalls zum Erwärmen von Dosensuppen und -eintöpfen einlud. Sie gewöhnte sich das Rauchen an und stellte fest, dass der Tabak sowohl das Hungergefühl betäubte als auch die Langeweile vertreiben half – ganz abgesehen davon, dass sie die Zigaretten bei ihrem Chef mit Rabatt bekam.
    Sie ließ ihr Haar lang wachsen und trug es offen, mit einem Pony, der bis zu den Augenbrauen reichte; und da sie sich die neue Mode nicht leisten konnte, säumte sie ihre Röcke über den Knien mit unbeholfenen Stichen, die Mrs. Thomas die Tränen in die Augen getrieben hätten. Ihre Wimpern waren schwer von Tusche und ihre Haut bleich von der neuesten Grundierungscreme.

    Es gab natürlich auch Jungs, die es mit ihrem neu entdeckten Modebewusstsein zu beeindrucken galt. Kaum hatte es sich herumgesprochen, dass sie keinen Freund hatte, strömten sie in Scharen in den Laden und wollten sie ins Kino oder zu einem Kaffee einladen.
    Zuerst fühlte sie sich geschmeichelt, doch schon bald kam sie dahinter, was diese Einladungen bedeuteten. Nach den ersten enttäuschenden Erlebnissen kam sie zu dem Schluss, dass sie es vorzog, die Abende allein in ihrem Zimmer zu verbringen, wo sie fernsehen und ihre Singles hören konnte, die auf dem alten Plattenspieler ihres Vaters kratzten und rauschten. Beatles-Poster verdeckten jetzt die feuchten Stellen an ihren Wänden – ihre lächelnden Gesichter wachten über sie wie mittelalterliche Heilige.
    Diese kleinen Tröstungen ließen sie alle Unannehmlichkeiten überstehen – bis zu jener bitterkalten Nacht im März, als ihr Lohn ebenso wie ihre Essens- und Petroleumvorräte aufgebraucht waren. Es waren noch zwei Tage bis zum Zahltag, und als sie in Decken eingehüllt zitternd auf dem Bett lag und Krämpfe ihren leeren Magen schüttelten, fragte sie sich verzweifelt, wie sie diese zwei Tage überstehen sollte. Ihr Arbeitgeber, Mr. Pfeilholz, war ein netter Mann, aber er konnte ihr auch nicht mehr geben. Sie hätte zu den Thomasens gehen können, doch als sie sich Ronnies mitleidige Verachtung vorstellte, war sie fest entschlossen, eher zu sterben, als dieser Versuchung nachzugeben.
    Doch der Gedanke an die Thomasens hatte in ihr eine unwillkürliche Erinnerung wachgerufen. Einmal, als kleines Mädchen, war sie krank gewesen, und ihre Mutter hatte sie mit Hühnersuppe aus der Dose und sprudelnder Limonade verwöhnt. Die Erinnerung trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie schüttelte sie ab, so wie fast alles, was sie mit ihrem früheren Leben verband, doch der Gedanke an ihre Mutter hatte ein weiteres lebhaftes Bild vor ihrem geistigen Auge aufleuchten lassen.
    Sie kroch aus dem Bett und begann in den Schubfächern des Sekretärs zu wühlen. Sie konnte sich nicht erinnern, die letzten Tabletten ihrer Mutter weggeworfen zu haben – waren sie vielleicht immer noch da? Als ihre Mutter vor Schmerzen und Unruhe nicht mehr hatte
schlafen können, da hatten die winzigen Morphiumpillen ihr Erleichterung verschafft. Ob sie jetzt ihr helfen konnten?
    Ihre Finger schlossen sich um etwas Glattes, Rundes, ganz hinten im Schubfach. Sie zog es heraus – ja, es war genau die braune Glasflasche, an die sie sich erinnerte. Sie schraubte den Deckel auf und schüttelte ein paar Tabletten in ihre hohle Hand. Und dann nahm sie mit plötzlicher Entschlossenheit ein Küchenmesser und schnitt eine der Tabletten in zwei Hälften. Zögerlich schluckte sie die winzige weiße Mondsichel.
    Sie bereute es augenblicklich. Ihr Herz pochte vor Angst, als sie sich ausmalte, wie sie sterben würde, vergiftet und zu schwach, um Hilfe herbeizurufen.
    Nach einigen Minuten begann sich etwas zu verändern. Zuerst war da ein taubes Gefühl in ihrem Mund, dann breitete sich eine wohlige Wärme durch ihren ganzen Körper aus, und sie empfand eine merkwürdige Distanz zu der Kälte und dem Hunger. Sie nahm diese Empfindungen immer noch wahr, sie wusste, dass sie ein Teil von ihr waren, und doch stand sie irgendwie daneben.
    Sie vergaß ihre Panik, entspannte sich, kuschelte sich tiefer in die Decken. Es war alles gut … Alles würde gut werden. Eine rosige Zufriedenheit überkam sie. Das Licht der einen

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