Der Rache Suesser Klang
natürlich auch mit Internetzugang, so dass sie nun nicht mehr auf Cafés angewiesen war. Und keinen Ausweis mehr benötigte, wenn sie einen Blick auf ihre Millionen werfen wollte.
Sie war vorsichtig gewesen mit den Identitäten, die sie gestohlen hatte, dachte sie, während sie den Rechner hochfuhr und in die Telefonbuchse einstöpselte. Sie hatte die Kreditkarten nie wirklich benutzt, sondern sie nur vorgezeigt, wenn es nötig war, wie es in Internetcafés der Fall war. Sofern man bar zahlte, behielt das Personal die Karte nur zur Sicherheit ein, während der Kunde am Rechner beschäftigt war, und Sue hatte immer bar bezahlt. Niemand würde die Kinderschwester oder die Kellnerin auf sie zurückführen können. Und falls Bryce die Klappe hielt, konnte sie mit keinem Mord in Verbindung gebracht werden.
An der Ostküste war es nun beinahe fünf Uhr. Die Vaughns mussten das Geld inzwischen auf dem ersten Konto hinterlegt haben. Sie ging auf die Website der Bank, gab ihre Kontonummer ein und schrieb dann ihr Passwort,
Walter
1955
.
Guter alter Dad.
Wenn er mich jetzt sehen könnte.
Er hatte einen lächerlichen Job verbockt, war an einem winzigen Supermarkt gescheitert, verdammt noch mal. Sie dagegen besaß jetzt fünf Millionen Dollar. Ganz abgesehen davon, dass Miranda Cook das bekam, was sie verdient hatte. Und wenn das alles vorbei war, würde sie …
Die kleine Sanduhr verschwand, und Sue zog die Brauen zusammen. Das Geld war nicht da. Das Konto war leer. Sie hätten inzwischen doch zahlen müssen. Ihr Herz begann härter zu schlagen. Vielleicht wollten sie gar nicht mehr zahlen. Aber, verdammt, sie brauchte das Geld. Wollte das Geld. Sie presste die Kiefer aufeinander.
Sie schulden es mir!
In einer plötzlichen Eingebung rief sie das zweite Konto auf – das Konto, von dem nur sie wusste.
Walter
1987.
Und erstarrte. Fassungslos.
Das ist doch unmöglich.
Das Konto war leer.
Unmöglich.
Auf dem Konto waren über neunzehntausend Dollar gewesen.
Und jetzt ist alles weg.
Sie wussten Bescheid. Irgendwie hatten sie von dem zweiten Konto erfahren. Ihr gefror das Blut in den Adern, während ihre Gedanken zu rasen begannen. Wie hatten sie sie gefunden? Wie hatten sie davon erfahren? Sie hatte niemandem von dem zweiten Konto erzählt. Niemandem. Aber irgendwie hatten sie es trotzdem herausgefunden. Ihr Magen beruhigte sich wieder, und sie entspannte sich langsam. Sie musste den Jungen holen. Sie hatte ein Versprechen gegeben, und ein Versprechen durfte nicht gebrochen werden. Sie würde den Vaughns das Kind in fünf Millionen Stückchen zurückschicken.
Chicago
Freitag, 6. August, 16.15 Uhr
»Also, was hat er Ihnen gesagt?«, wollte Ethan wissen, als er, auf Clays Arm gestützt, ins Büro der Detectives kam.
Reagan schaute von seinem Computer auf und tauschte einen Blick mit Mitchell. »Du ermutigst ihn doch nur, Mia. Er sollte wieder ins Krankenhaus gehen.«
Mia zuckte die Achseln. »Sie waren doch schon hier. Ich dachte, es ist anstrengender, sie zu überreden, wieder zu verschwinden, als ihnen eine Besuchererlaubnis auszuschreiben. Setzen Sie sich, Buchanan, bevor Sie mir hier zusammenklappen.«
Ethan nahm auf Mitchells Stuhl Platz. Obwohl sein Arm heftig pochte, konnte er nur an das Stück Dreck denken, das die Polizei in Randis Hotel erwischt hatte. »Was hat Marsden Ihnen gesagt?«
»Nicht viel«, meine Reagan. »Er hat einen Hauptschlüssel vom Hotel, sagt aber nicht, wie er daran gekommen ist.«
»Conway wird ihn ihm gegeben haben«, explodierte Ethan.
»Ja, natürlich«, fauchte Mitchell zurück. »Aber er gibt es nicht zu.« Sie milderte ihren Tonfall ein ganz klein wenig. »Ich weiß, dass Sie frustriert sind, Ethan. Aber wir tun alles, was wir können.«
»Marsden hat seinen Anwalt angerufen«, fügte Reagan düster hinzu. »Jetzt können wir nicht mehr an ihn heran.«
Heißer Zorn kochte in Ethan hoch, und mit ihm die nackte Angst. »Verdammt noch mal. Er weiß etwas. Er muss etwas wissen. Geben Sie mir fünf Minuten mit ihm, und wir haben, was wir brauchen.«
Mitchell bedachte ihn mit einem eiskalten Blick. »Beherrschen Sie sich, oder Sie gehen zurück ins Krankenhaus.«
»Reg dich ab, E«, murmelte Clay hinter ihm. »Die zwei da sind auf deiner Seite.«
Zitternd und mit hämmerndem Herzen versuchte Ethan, sich zusammenzureißen. »Verzeihen Sie.« Er legte die flache Hand auf das Hosenbein, das noch mit Grasflecken und Blut verschmiert war. Er durfte die Augen nicht zumachen, weil er
Weitere Kostenlose Bücher