Der Rache Suesser Klang
siebzehn.« Die Stimme war trotzig, ihre Arme verschränkten sich vor der Brust. Und das war der Moment, in dem Dana Janes Narben sah. Kleine, feine Narben, die sich auf der Innenseite der Arme vom Handgelenk bis zum Ellenbogen hinaufzogen. Und sie sagten Dana eine Menge über die Frau, die ihr gegenübersaß.
Jane hatte – wahrscheinlich vor langer Zeit – versucht, sich selbst zu verstümmeln. Nicht mit Selbstmordabsichten, sondern als Hilfeschrei. Anfangs zumindest. Später dann, um Kontrolle über das Einzige auszuüben, über das sie tatsächlich Kontrolle besaß – ihren eigenen Körper. Dana hatte so etwas mehr als einmal in den vergangenen Jahren als Therapeutin gesehen. Und nun stand Jane erneut unter akutem Stress. Stress brachte Menschen häufig dazu, in alte Bewältigungsstrategien zurückzufallen. Sie musste sowohl Jane als auch Erik genauer beobachten.
Dana konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart. Jane wollte nicht an eine Arbeit denken, was nicht besonders ungewöhnlich war. Viele Frauen brauchten erst einmal Zeit, all die Dinge zu verarbeiten, die sie nun, da sie allein auf der Welt waren, zu tun hatten. Und viele der Frauen waren tatsächlich zum ersten Mal in ihrem Leben auf sich selbst angewiesen.
»Pass mal auf. Wie wäre es, wenn du dir heute die Stellenanzeigen in der Zeitung ansiehst und später am Nachmittag zu uns in die Gruppe kommst? Jane, du hast den wichtigsten Schritt überhaupt gemacht – du hast deinen Mann verlassen. Das war mutiger als alles, was die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben zustande bringen. Und meine Aufgabe ist es, dir dabei zu helfen, aus dieser zweiten Chance das meiste herauszuholen.«
Jane nickte knapp. »Kann ich jetzt gehen? Ich mag Erik nicht so lange allein lassen.«
»Natürlich.« Dana hielt ihr die Zeitung hin und kämpfte gegen den Wunsch an, ihr das Blatt in den Schoß zu werfen, als Jane reglos sitzen blieb und es anstarrte. Endlich nahm sie die Zeitung, stand auf und ging.
Dana sah ihr nach, während ihr Instinkt sie anschrie, dass hier etwas überhaupt nicht stimmte. Aber die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass keine zwei Frauen auf Misshandlungen gleich reagierten.
Sie setzte sich wieder, beendete ihre Arbeit und war tief in Gedanken versunken, als sie wieder in die Wirklichkeit zurückgerissen wurde.
»Guten Morgen«, sagte Caroline, die an der Tür stand. »Kann ich reinkommen?«
»Kann ich dich daran hindern?«, fragte Dana trocken zurück.
Leise lachend schloss Caroline die Tür. »Nicht wirklich.« Sie ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. »Und – was ist gestern Nacht passiert?«, fragte sie unverblümt.
Dana bedachte sie mit einem gelangweilten Blick. »Da hättest du mich auch einfach anrufen können.«
Caroline grinste. »Damit mir entgeht, wie schön rot du jetzt gerade wirst? Niemals.«
»Ich werde nicht rot.«
Caroline blickte geduldig zur Decke. »Verleugnung kommt immer zuerst.«
Dana zuckte die Achseln und tat unbekümmert, wusste jedoch, dass ihre Freundin sich nicht täuschen ließ. »Na, dann.«
Caroline verengte die Augen. »Hat er etwas Falsches gemacht?«
»Nein, ganz und gar nicht. Er war der perfekte Gentleman.«
Bis er meine Brüste berührt hat. Und das war viel zu schön gewesen.
Dana stemmte die Ellenbogen auf den Tisch und legte das Kinn auf die Fäuste.
»Wir haben gegessen, und er hat mir von der Sache in Kandahar erzählt. Sein Freund ist dabei gestorben, und er trauert immer noch, aber das Reden scheint ihm zu helfen. Wir hatten Chicken Wings. Und ich habe Gemüse gegessen.«
Caroline zog eine Braue hoch. »Eine traurige kleine Selleriestange zählt nicht, Dana. Und was ist dann passiert?«
»Er wollte mich nach Hause bringen, aber ich habe abgelehnt.«
»Klug«, sagte Caroline.
»Aber er hat darauf bestanden, also bin ich mit ihm zu meiner Wohnung gegangen.«
Caroline verzog gequält das Gesicht. »Ich wette, das hat ihn richtig angemacht.«
»Ja, beeindruckt war er nicht. Wir haben noch ein bisschen geplaudert, dann ist er gegangen.«
»Gegangen.« Caroline fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »Du willst unbedingt, dass ich dir jede kleine Einzelheit mit Gewalt aus der Nase ziehe, richtig?«
Dana fuhr sich mit den Fingern durchs Haar. »Verdammt, Caroline. Wir haben uns unterhalten. Er hat mich auf die Stirn geküsst. Das war’s. Keine stürmische Romanze. Kein heißer, schwitziger Sex, der meine Energiereserven wieder auffüllt. Tut mir leid, dass ich dich
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