Der Rache Suesser Klang
zwei Tage geben, damit du dich einleben kannst, bevor ich mit dir spreche. Ich würde gern wissen, wo du herkommst, was du vorhast und wohin du willst.«
»Wohin ich will? Aber … ich bin doch gerade erst angekommen.«
Janes Stimme war entsetzlich angstvoll. Sie hatte die Hände zwischen die Knie geschoben, die Schultern vorgebeugt. »Natürlich nicht heute, Jane. Aber irgendwann wirst du gehen wollen und mit Erik ein neues Leben beginnen. Hast du vielleicht schon einmal darüber nachgedacht, wie das aussehen soll?«
Sie hob zögernd eine Schulter. »Ich will nicht mehr verprügelt werden.«
Das war die übliche Aussage.
»Ein guter Anfang. Magst du mir erzählen, wie es dir vorher ergangen ist?«
»Mein Mann ist ein Säufer. Hat mich geschlagen, wenn ich was gemacht habe, was er nicht mochte. Und das war jeden Tag.«
»Was ist mit Erik?«
»Was soll mit ihm sein?«, murmelte sie.
Was soll mit ihm sein?
Was für eine Frage. »Er wirkt ausgesprochen … gequält.«
Sie schaute auf, ihre seltsamen Augen leer. »Sein Daddy … hat ihm was getan.«
Das war etwas, das Dana glauben konnte. Der Junge hatte es noch kein einziges Mal in den vergangenen zwei Tagen geschafft, jemandem in die Augen zu blicken. Jedes Mal, wenn sie nach ihm gesehen hatte, hatte er zusammengerollt auf dem Bett gelegen. Einmal hatte sie ihn anfassen wollen, aber er war zurückgezuckt, als würde er sich vor ihr fürchten. Und wahrscheinlich war dem auch so. »Was hat er getan, Jane? Was hat sein Vater ihm angetan?«
»Er hat ihn verprügelt. Und sein Gesicht verbrannt. Da bin ich gegangen.«
»Ich würde gern mit Erik reden.«
»Nein.« Die Weigerung kam schnell und hitzig. »Er hat schon so viel durchgemacht.«
Dana lehnte sich zurück und musterte die Frau, die sich auf ihrem Stuhl so klein machte, wie es ihr möglich war. »Ich verstehe, dass du ihn beschützen willst, Jane, aber Erik braucht Hilfe. Wahrscheinlich mehr, als wir ihm hier geben können.«
Jane schaute auf, und Dana musste sich enorm zusammenreißen, um nicht zusammenzuzucken, als sie sah, wie sich die Augen der Frau mit Tränen füllten. »Lass ihn bitte in Ruhe.
Bitte.
«
Verwirrt nickte Dana. »Also gut. Dann rede ich erst einmal nicht mit ihm. Aber er sollte unbedingt von einem Arzt untersucht werden, Jane. Wenn sein Vater ihm etwas angetan hat, dann muss er untersucht werden.«
Janes Augen begannen zu glühen. »Niemand fasst mein Kind an.« Es war beinahe wie ein Knurren gewesen, und Jane fuhr zusammen, anscheinend genauso überrascht wie Dana. Hastig senkte sie wieder den Blick. »Erik ist noch nie … wie andere gewesen«, fuhr sie, etwas ruhiger, fort. »Er hat Anfälle.«
Es ist wohl eher die Mutter, die noch nie wie andere gewesen
ist,
dachte Dana. »Was für Anfälle?«
»Epileptische. Er nimmt Medikamente. Und ich brauche bald wieder was. Keppra und Phenobarbital.«
»Hast du die Flaschen noch?«
»Nein. Ich habe sie nicht mitgenommen, damit mein Mann nicht merkt, dass wir weg sind.«
»Na gut, ich werde mit Dr. Lee reden. Was hast du gemacht, bevor du hierherkamst, Jane?«
Janes Kiefer verspannten sich leicht. »Was meinst du damit?«
»Ich meine, ob du eine Arbeit hattest, irgendeine Ausbildung – etwas in der Art.«
»Warum?«
Dana ging um ihren Tisch herum und setzte sich seitlich auf die Kante, um weniger einschüchternd zu wirken. »Jane, Hanover House ist nur eine vorübergehende Station. Du kannst hier nicht ewig bleiben. Die Frauen kommen her, versuchen, wieder auf die Füße zu kommen, und verlassen uns dann wieder. Nach unserer Regel sind drei Wochen das Maximum.« Eine Regel, die sie mit schöner Regelmäßigkeit brachen, aber irgendwie widerstrebte es ihr, das jetzt zu erwähnen.
»Aber ich will nicht wieder gehen«, flüsterte sie. »Ich habe Angst. Er findet mich und holt mich wieder zurück.«
Mich.
Nicht
uns, mich.»
Zurück wohin?«, fragte Dana, und die Frau versteifte sich.
»Du verstehst das nicht. Ihr seid die Einzigen, denen ich vertrauen kann. Nur hier bin ich sicher.«
Wieder
ich.
Nicht
wir.
Nicht
mein Sohn und ich.
Das gefiel Dana überhaupt nicht. »Zurück wohin, Jane?«, wiederholte Dana.
Janes Brauen zogen sich zusammen. »Das spielt doch keine Rolle. Ich gehe sowieso nicht mehr zurück.«
»Und das ist auch gut so für dich und Erik. Aber dein Sohn braucht ein stabiles Zuhause. Und damit du ihm das bieten kannst, brauchst du einen Job. Hattest du eine Arbeit, bevor Erik geboren ist?«
»Ich war
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